250 Jahre Filipowa – Jubiläumstreffen in der ehemaligen Heimat
Im Jahr 2013 gedenken die Filipowaer der 250 jährigen Wiederkehr der Gründung ihrer Gemeinde Filipowa (Philippowa, Filipovo, heute: Bački Gračac) in der Batschka durch die Kaiserin Maria Theresia im Jahre 1763. Bekanntlich konnten die Filipowaer nach sieben Jahren Verhandlung vor fünf Jahren auf ihrem vormaligen Friedhof, wo wohl rund 13.500 ihrer Vorfahren begraben liegen, eine Gedächtnisstätte errichten. Ebenso gelang es ihnen, die in einer länderübergreifenden Arbeitsgemeinschaft Filipowa zusammenwirken, im Jahre 2011 auf der zwischen Filipowa und Hodschag liegenden sog. „Heuwiese“ eine Gedenkstätte für ihre 212 Landsleute zu errichten, die hier in der Nacht des 25. November 1944 von einem Partisanenkommando ermordet wurden. Unter den hier liegenden Opfern befindet sich auch der damals 16jährige Bruder Josef des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch; Dr. Zollitsch ist noch in Filipowa geboren, kam als 7jähriger 1945, noch vor Kriegsende, in das Vernichtungslager Gakowa, konnte aber nach einigen Monaten mit seiner Großmutter über Ungarn nach Deutschland entkommen.
Der Vorsitzende der ARGE-Filipowa, Lm. Adam Kupferschmidt, Winnenden, schreibt:
Am 29.5. bis 3.6.2013 machten sich an die 120 Filipowaer zu einer Sternewallfahrt in die ehemalige Heimat auf die Reise. Etwa ein Drittel der Teilnehmer gehörte der Nachkommengeneration an, d.h. sie sind schon in der neuen Heimat geboren. Ein Reisebus kam aus Wien, ein weiterer Bus kam aus Haßloch/Karlsruhe. Einige Teilnehmer waren extra aus Kanada und Ungarn angereist. Von der Erwartung, die alte Heimat der Kindheit bzw. die Heimat der Vorfahren in Gemeinschaft zu erleben und ihnen an ihren Gräbern in Würde zu gedenken, waren alle Teilnehmer angesteckt und beseelt. Das gemeinsame Programm sah vor, in einer Andacht an der Gedenkstätte auf dem ehem. Deutschen Friedhof und bei der Gedenkstätte für unseren 212 ermordeten Väter und Brüder inne zu halten. Die Sternwallfahrt stand unter der geistlichen Leitung von Prälat Josef Eichinger aus St. Pölten. Er gestaltete auch die besinnlichen und geistlichen Texte des Begleitheftes, das als Handreichung an alle Teilnehmer verteilt wurde. Erzbischof Zollitsch war terminlich verhindert.
Am Freitag, dem 31. Mai 2013, dem eigentlichen Gedenktag, trafen sich nach einem Rundgang durch das Dorf alle Reisegruppen vor dem 1905 gebauten ehemaligen Kloster der „Armen Schulschwestern Unserer Lieben Frau“, der einstigen und heutigen Schule des Ortes. Von der Direktorin der Schule wurden wir durch das Gebäude geführt. Ein in Serbien obligatorisches Schnäpschen wurde uns als Willkommenstrunk angeboten. Nostalgische Erinnerungen der Älteren an ihre Schulzeit mit den hier wirkenden Schulschwestern wurden wach. Das Gebäude präsentierte sich innen in gutem Zustand. Die Wände in den Klassenzimmern und Fluren sind reichlich mit Postern, Collagen, Fotos und Zeichnungen behangen. Der eine oder andere Text an der Wand, der dem Geschichtsunterricht dient, veranlasst zum Nachdenken über unsere Vergangenheit. Beim Abschied überreichten wir der Direktorin zum Dank eine Geldspende.
Nach dieser Besichtigung im Kloster trafen sich die Reisegruppen im Bürgersaal zum gemeinsamen Mittagessen. Die sprachkundige Landsmännin, Frau Agnes Kupferschmidt, hatte es vermittelt. Am Eingang des Saales stand eine in Tracht gekleidete Kindertanzgruppe der aus der Lika stammenden 1945 angesiedelten Serben Spalier. Der große Saal des Bürgerhauses war für 120 Essensteilnehmer festlich gedeckt. Vor dem Essen überreichte Agnes Kupferschmidt dem Standesbeamten von Bački Gračac, Herrn Branko Pokrajac, als Gastgeschenk ein Bild (Kopie) des donauschwäbischen Malers Sebastian Leicht: „Brotzeit der Grasmäher“. Herr Pokrajac ist ein Verehrer und Bewunderer der Kunst dieses aus dem Nachbarort Batsch-Brestowatz stammenden Malers, der in Passau zu einem der bedeutendsten ostbayerischen Maler wurde. Anschließend führte die ungefähr 25 Köpfe zählende Kindertanzgruppe traditionelle serbische Tänze in gut einstudierter und auf hohem Niveau stehender Weise vor. Was wir sahen, wäre für eine Aufführung im Fernsehen reif gewesen und war für uns eine große Überraschung. Wir spendeten den Kindern einen begeisterten Applaus und einen Geldbetrag, den nach guter alter Tradition ein spontan herumgereichter Hut einbrachte.
Das Jubiläum „250 Jahre Filipowa“ fand auf dem Friedhof statt. Es war dies eine Feier der besonderen Art. Prälat Eichinger moderierte die Gedenkstunde. Die besinnlichen Texte und Gebete wurden im Wechsel von Mitreisenden vorgetragen. Mit folgendem Gedicht von Gerdi Brum wurde die Jubiläumsandacht an der Gedenkstätte auf dem Friedhof eingeleitet: (Zitate aus der Handreichung)
VERLORENE HEIMAT
Wer die Heimat liebt, so wie Du und ich,
den holt die Vergangenheit dann und wann,
in Gedanken - immer wieder ein.
Da denkst Du zurück, an verlorenes Glück,
und wie schön es war, in Deiner Heimat einst.
Darum schäme Dich Deiner Tränen nicht,
Die Du auch heute noch heimlich um sie weinst.
Präge Freud und Leid tief ins Herz Dir ein,
Heimat und Vergangenheit dürfen nie vergessen sein.
Erzähle auch dem Kind, mache ihm ganz deutlich klar,
wo.Deine Wurzeln sind, und wie groß das Unrecht war,
Als man über Nacht ein Volk zu Bettlern gemacht,
trieb Menschen mit Schimpf und Schand' aus ihrem Heimatland.
Es folgte nun ein Kurzbeitrag über die wichtigsten Etappen der Geschichte des Dorfes. Im Jahr 1763 vor 250 Jahren begann und am 31. März 1945 endete unser Geschichte in Filipowa. Mit der Vertreibung der damals noch 3800 im Dorf verbliebenen Filipowaern aus ihren Häusern wurde die donauschwäbische Ortsgemeinschaft ausgelöscht. Der Name „Filipowa“ wurde umgeschrieben, die Menschen wurden heimatlos. 1938 hat man die 175- Jahr-Feier der Ansiedlung Fiipowas als ein Jubel-Jubiläum, als das größte Fest seiner Geschichte gefeiert. Wir dagegen feierten das 250-Jahr-Jubiläum auf dem Friedhof. Dies ist eine beklemmende, ja makabre Tatsache. Es war unser Schicksal.
Der Andacht bei der Gedenkstätte auf dem Friedhof folgte eine zweite beim Kreuz und den Gräbern der 212 auf der auf der „Heuwiese“ ermordeten Männer, dem Ort der größten Katastrophe der Ortsgeschichte. Bei beiden erfolgte nach den Gebeten die Kranzniederlegung und die Segnung durch unseren geistlichen Begleiter Prälat Josef Eichinger.
Die Filipowaer sind durch ihr Schicksal mit der Nachbargemeinde Hodschag über alle Generationen verbunden gewesen. So sollte auch ihrer Toten auf dem Friedhof und in der Gedächtniskappelle ihrer Toten ein ehrender Besuch abgestattet werden. Ein großes Anliegen für uns war der Besuch des Gedenkkreuzes für die 183 ermordeten Hodschager an der Karawukowaer Straße. Ihnen zur Ehre wurde ebenfalls ein Kranz niedergelegt. Zum Abschluss des Tages feierten wir einen Wallfahrtsgottesdienst mit alt vertrauten Gesängen in der renovierten Kirche von Maria Doroslo.
Am Samstag, dem 1. Juni 2013, stand der Besuch der Gedenkstätten Gakowa, wo 756 und Kruschiwl, wo 10 Filipowaer liegen, auf dem Programm. Auch dieser Besuch stand im Zeichen der Besinnung auf das Schicksal dieser unserer Angehörigen, die in einer gewollten Auslöschung so elend ihr Leben verloren haben. Das gemeinsame Gebet und die Ehrung unserer Toten durch die Kranzniederlegung war auch hier der feierliche Höhepunkt.
Fazit der Reise: Es war ein würdiges, wohl auch wehmütiges Gedenken unserer Existenz als Ortsgemeinde von bemerkenswerter Bedeutung für die donauschwäbischen Geschichte. Außerordentlich erfreulich war, dass sich unter den Mitreisenden eine große Zahl von Jahrgängen befand, welche nicht mehr in der alten Heimat geboren wurden. Mit großem Interesse verfolgten sie die Gespräche „der Alten“ und brachten ihre Eindrücke zum Ausdruck. Einige Briefe dieser Nachfolgegeneration haben uns erreicht. Aus einem darf ich mit Genehmigung der Verfasserin Frau Maria Raschka, geb. Schwob, Jahrgang 1953, folgendes zitieren:
Mein Vater schwärmte immer von der unendlichen Weite der Pannonischen Tiefebene mit ihrem fruchtbaren Boden, der keine Steine aufwies. Nun konnte ich diese Landschaft mit ihrem besonderen Reiz selbst erfahren. Das Dorf Filipowa überraschte mich in seiner Größe und den breiten Gassen. In Gedanken stellte ich mir meine Familie vor, die hier in der dörflichen Gemeinschaft verwurzelt war. Gleichzeitig spürte ich auch den Schmerz, der mit der Vertreibung und dem nachfolgenden Elend einherging. Wir fanden das Haus meiner Eltern und Großeltern und wurden freundlich hereingebeten. Noch etwas zweifelnd, ob wir auch im richtigen Haus seien, bekamen wir ein altes Fotoalbum vorgelegt. Ich erinnerte mich, dass mein Vater 1971 (kurz vor seinem Tod) in Filipowa war. Nun hoffte ich, unter diesen Fotos einen Hinweis zu finden. Es war eine unbeschreibliche Freude und Trauer, als ich das alte Gruppenbild mit meinem Vater im Album entdeckte. Ich weinte und lachte gleichzeitig. Nun war ich also hier in der alten Heimat am richtigen Platz. Die Original-Bodenfliesen, uralte Türschnallen, die meine Familie in Händen hielt, ein uralter Weinstock, das alte Hofpflaster, der Saustall, der Brunnen, das Türl zum hinteren Garten – es war eine Reise in die Vergangenheit. Weinend und mit zittrigen Händen füllte ich Heimaterde aus dem Garten meiner Großmutter in eine Tüte. Obwohl ich hier nicht geboren bin, trage ich doch eine Verbindung zu dieser alten Heimat in mir. Draußen am Sandloch schaute ich über die Felder, die früher von meiner Familie bestellt wurden, die seit Generationen den gleichen Blick in diese Weite hatten, wie ich jetzt. Hinter dem Sandloch ist eine sumpfige Schilflandschaft, die mich an alte Gemälde von Stefan Jäger erinnerte. So ähnlich mag es vielleicht vor 250 Jahren auch ausgesehen haben, bevor dieses Land entwässert und fruchtbar gemacht wurde. Fremdartiges Vogelgezwitscher, Froschquaken und ein leichter warmer Wind machten diesen Ort so friedlich. Der Kreis hat sich geschlossen. Es haben hier Menschen gelebt, die ums nackte Überleben kämpfen mussten, und es waren auch außergewöhnliche Menschen darunter, die etwas bewegt haben. Ich bin stolz darauf, dass meine Vorfahren Donauschwaben sind.