„Weg ins Ungewisse“
Autor: Ingeborg Schalek
Mit meinen Kindern durch die Hölle des Zweiten Weltkriegs
Barbara Lehmann wird 1908 in dem kleinen Ort Rudolfsgnad im heutigen Serbien als Kind deutscher Siedler geboren.
Der frühe Tod ihrer Mutter und ihrer Großeltern beendet jäh ihre behütete Kindheit.
Die aus wirtschaftlichen Gründen arrangierte Ehe mit ihrem Mann Toni und der plötzliche Tod ihrer geliebten Schwester Anna sind nur zwei der vielen Schicksalsschläge, die Barbara im Verlauf ihres Lebens zu ertragen hat. Als gegen Ende des Zweiten Weltkriegs die Russen ihr Dorf bedrohen, flieht Barbara mit ihren beiden Töchtern .....
Textauszug
Meine arme Kathi weinte schrecklich, denn ihr fiel der Abschied von zu Hause offensichtlich am schwersten, zumindest zeigte sie es am deutlichsten. Es gelang mir kaum, sie zu beruhigen. Marie dagegen war still, kein Wort kam über ihre Lippen, aber ich wusste auch so, wie ihr ums Herz war. Tief zog sie den Kopf zwischen ihre Schultern, und auch wenn sie es verbergen wollte, merkte ich, dass sie leise weinte.
Neben ihr lief Jokl, unser kleiner Hund, den wir mitgenommen hatten. Eigentlich wollte ich ihn zur Bewachung des Hauses zurücklassen, aber er ließ sich nicht davon abhalten, mitzukommen. Wie Marie hielt er den Kopf gesenkt, man hätte meinen können, er verstünde, was vor sich ging. Sogar einige unserer Gänse liefen ein Stück schnatternd hinter dem Wagen her, ehe sie sich abwendeten und zurückwatschelten.
Nachdem wir die Theißbrücke passiert hatten, errichteten wir in Titel ein Lager auf einem Feld, stellten unsere Wagen im Kreis auf und ließen die Kühe in der Mitte grasen. Immerhin waren wir jetzt auf dem westlichen Ufer und wollten hier eine Weile abwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Einige von uns, darunter auch ich, gingen jeden Tag zurück in unser Dorf, um weitere Lebensmittel oder anderes zu holen. Meine Töchter nahm ich nie mit, das war mir einfach zu gefährlich. Jokl dagegen begleitete mich jedes Mal und ging ohne Zögern immer wieder mit mir zurück. Bisweilen traf ich auf versprengte deutsche Soldaten, die nach Essbarem suchten. Einmal führte ich ein längeres Gespräch mit einem von ihnen. Er war kaum älter als zwanzig Jahre. Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit lag in seinem Blick. Er riet uns, so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Der Krieg wäre für Deutschland verloren, sagte er, das sei so sicher wie das Amen in der Kirche. Von dieser Seite könnten wir keine Hilfe mehr erwarten.
Als ich das letzte Mal zu Hause war und unser Haus betrat, herrschte Unordnung, alles war zerwühlt und durcheinander. Ganz offensichtlich waren hier Plünderer am Werk gewesen - ob zurückweichende Soldaten oder vordringende Partisanen, wer wusste das schon. Noch einmal ging ich durch die Räume und dachte zurück an die schönen wie die schweren Stunden, die ich in diesem Hause verlebt hatte. Die Jahre zogen im Zeitraffer an mir vorbei. Ich gab mir einen Ruck und lief schnell hinaus. Im Hof saßen unsere Schweine vor ihren geöffneten Ställen und sahen mich an. Ich fütterte sie zum letzten Mal, dann wandte ich mich ab. Bevor ich den Garten verließ, bückte ich mich, nahem eine Handvoll Erde und schob sie in meine Tasche. Mich überkam ein Gefühl von Endgültigkeit.
Ingeborg Schalek, Weg ins Ungewisse
Rosenheimer Verlagshaus
ISBN: 978-3-475-53861-2