Gerechtigkeit für die Heimatvertriebenen – hatte sie in der europäischen Nachkriegsgeschichte eine echte Chance?
Zu diesem Thema sprach Dr. Georg Wildmann bei der Generalsversammlung der Landsmannschaft am 19. Mai 2007 in Marchtrenk. Es entbehrt nicht eines (vorwiegend negativ besetzten) Reizes, zu prüfen, was sich den letzten vier Jahren geändert hat. Bewegung gab es offenbar nur auf zwei Gebieten:
Aufgrund des Entgegenkommens von Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer konnte der erhoffte Erinnerungstag für den jährlichen zweiten Samstag im Juni landesoffiziell eingeführt werden. Heuer findet er immerhin schon zum vierten Mal statt.
Die unter Punkt V erwähnte EnqueteKommission weitergearbeitet, bislang aber kein vollständiges Ergebnis ihrer Enquete veröffentlicht. Inzwischen sind Ungarn wie Serbien bestrebt, die unschuldigen Opfer, namentlich jene aus der ungarischen Bevölkerung der Wojwodina, zu rehabilitieren. Das hat dazu geführt, dass der Präsident Serbiens, Boris Tadić, und der damalige Präsident Ungarns, László Solyom, beschlossen haben, eine gemeinsame Kommission aus Historikern zu bilden, die die Opfer namentlich erhebt. Infolge der noch nicht durchgearbeiteten Archivunterlagen und der Mühe, die Gräber zu lokalisieren, konnten erst vorläufige Opferzahlen veröffentlicht werden. Es ist anzunehmen, dass die besagte Enquete Kommission hiermit im staatlichen Auftrag arbeitet und mit zusätzlichen Mitarbeitern einen Beitrag zur Erhebung der ungarischen, deutschen, serbischen und kroatischen Opfer auf dem Gebiet der Wojwodina leisten kann.
Nachstehend die Ansprache:
A. Politische Perspektiven
I.
Seit unserer Vertreibung aus der Heimat sind 63 Jahre vergangen. Etwa 45 Jahre von diesen 63 herrschte der Ost-West-Gegensatz und viele Jahre der Kalte Krieg, wo es über uns Vertriebene praktisch überhaupt keine Verhandlungsmöglichkeiten mit den Vertreiberstaaten gab.
In den Rundfunk-Chefetagen – so habe ich von mehreren Seiten gehört – hat man sich in der Zeit des Kalten Krieges Angst gehabt, über uns und unser Schicksal zu sprechen, bzw. eine Sendung zu machen. Das Schicksal der Altösterreicher deutscher Muttersprache wurde totgeschwiegen.
Die Gerechtigkeit für uns Heimatvertriebene hatte bis zur „Wende“ 1989 politisch keine echte Chance in der europäischen Geschichte.
II.
In der Tschechoslowakei entstand 1977 eine Bürgerrechtsbewegung von Regime-Kritikern und Dissidenten, die „Charta 77“. Einzelne Unterzeichner dieser Charta haben sich damals für eine ehrliche Sichtung der Verantwortung für die Vertreibung der Sudentendeutschen ausgesprochen. Nach der „Wende“, der „samtenen Revolution“ in der Tschechoslowakei, verlor sich der Einfluss der Dissidenten. Nur der zum Staatspräsidenten gewählte Vaclav Havel gab 1990 in einer öffentlichen Rede die Erklärung ab: „Der Abschub der Sudetendeutschen war keine Strafe, das war Rache. Darüber hinaus verjagten wir die Sudetendeutschen nicht auf der Grundlage erwiesener individueller Schuld, sondern als Angehörige einer bestimmten Nation und so haben wir vielen Menschen Leid angetan...“ (Zitiert nach Sudentepost vom 10. Mai 2007).
Dieses Wort von der moralischen Disqualifikation der Vertreibung schien ein Durchbruch zu werden, wurde es aber in der Tschechoslowakei selbst nicht, weil Havel praktisch von allen Parteien deswegen angegriffen wurde und schließlich seine Aussagen soweit abschwächte, dass im tschechischen historischen Bewusstsein unter den Leuten von heute nicht mehr viel übrig geblieben ist.
Gerechtigkeit für die Heimatvertriebenen: Die Charta 77 trug letztendlich in den vergangenen 30 Jahren (1977-2007) kaum etwas dazu bei.
III.
Nach der Wende folgte Ungarn zaghaft mit der Aussage von Ministern, hauptsächlich gegen Mitte der neunziger Jahre, dass die Vertreibung („Aussiedlung“, wie es beschönigend heißt) ein Unrecht gewesen sei. Es folgte auch eine eher symbolische Entschädigung.
Worte, die denen des frühen Havel ähneln, sprach ein Staatspräsident Ungarns meines Wissens erst am 18. Juni 2006, also 16 Jahre nach Havel, Es ist László Sólyom. Bei der Einweihung der zentralen Gedenkstätte der Vertreibung der Ungarndeutschen sagte er in seiner Botschaft: „Als Staatspräsident entschuldige ich mich bei den vertriebenen Schwaben und ihren vertriebenen Familien für das ihnen widerfahrene Unrecht und verneige mich vor dem Denkmal der Erinnerung der Vertriebenen in der Hoffnung, dass die Ungarndeutschen hier wieder zuhause sein werden“. Und er meint wörtlich: „Über den (Un)Geist, der über Menschen verfügte, als wären sie Gegenstände ... müssen wir heute unser Wort erheben“. „Durch das heutige Gedenken wird die Menschlichkeit in ihren früheren Rechtsstatus zurückversetzt“ – so beginnt die Botschaft.
Fazit: Die Gerechtigkeit für die Heimatvertriebenen hatte nach 50 Jahren in Ungarn eine begrenzte Chance.
IV.
Kein Parlament in Belgrad und auch keine jugoslawische Regierung nach dem Kriege, also seit mehr als 60 Jahren, hat sich mit den schrecklichen Verbrechen, die an unschuldigen Zivilisten, nicht nur an deutschen, sondern auch an ungarischen und serbischen ab 1944 begangen wurden, offiziell befasst, geschweige denn, dass ein Staatspräsident eine Entschuldigung formuliert hätte. Jeder serbische Politiker von Rang hat den nationalen Ängsten der Serben bisher den Vorrang eingeräumt, so auch der im März 2003 ermordete Zoran Djindjić, der Chef der demokratischen Partei, (ein „Mann ohne Eigenschaften“). Der AVNOJ-Beschluss vom 21. 11. 1944, in der unsere kollektive Schuld behauptet wird, ist bis zum heutigen Tag von Belgrad selbst nicht außer Kraft gesetzt worden.
Was das Entschädigungsgesetz betrifft, so warten wir seit zwei Jahren auf Belgrad.
V.
In der Provinz Wojwodina, in ihrem Parlament, hatte die Gerechtigkeit bis 2003 eine Chance. Seit den damaligen Neuwahlen ist dort die Radikal-Serbische Partei die stärkste Fraktion. Ihre Abgeordneten haben bekanntlich die serbische Übersetzung des Taschenbuches „Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien“, wo ich der Hauptautor bin, und das in serbischer Übersetzung erschienen ist, im Parlament öffentlich zerrissen. Die vom Parlament eingesetzte Enquete Kommission, die alle Opfer, die serbische, ungarischen und deutschen, die Tito auf dem Gewissen hat, erheben soll, hat die Unterstützung des Parlaments verloren, arbeitet jetzt sozusagen unter dem Schutz der Akademie der Wissenschaften.
Auch hier ist die Gerechtigkeit, die gut auf dem Wege war, gestoppt worden. Ein wenig Hoffnung hat sie, durch eine Allianz der Liga der Sozialdemokraten und dem Verband der Madjaren.
VI.
Seit 10 Jahren warten wir auf einen realen Schritt bei den Kroaten – das Abkommen über Beteiligung unserer Landsleute aus Slawonien an der Vermögensentschädigung war unterschriftsreif – dann blockierte der Staatspräsident Stipe Mesić, indem er dafür sorgte, dass keine notwendige Mehrheit für die Verabschiedung dieses Gesetztes zustande kam. Die Gerechtigkeit im Sprung gestoppt!
VII.
Der Westen sah mit Riesenrespekt auf die Widerstandsbewegung der Solidarnosć in Polen unter Lech Walensa und ihre Unterstützung durch Papst Johannes Paul II., was ganz entscheidend zur Aufweichung des totalitären realen Sozialismus in diesem Staate und damit auch entscheidend zum Zusammenbruch des Kommunismus beigetragen hat.
Diesen Prozess in den achtziger Jahren durfte man nicht stören dadurch, dass man mit den Forderungen der Heimatvertriebenen Schlesier; Pommern und Ostpreußen gekommen wäre. Also waren die Heimatvertriebenen für die von Kanzler Helmut Kohl geführten Regierungen ebenfalls Störenfriede der Außenpolitik, sie hatten zugunsten des Zerfalls des Kommunismus zu schweigen, galten sie doch dem kommunistischen Regime, sobald sie sich rührten, als Revanchisten.
Und die Vorstellung: Jede Forderung der Heimatvertriebenen nach Entschädigung sei Revanchismus, hat sich in vielen Bevölkerungsschichten Tschechiens und Polens bis heute erhalten.
VIII.
Dann bot sich die Chance der deutschen Wiedervereinigung. Auch sie durfte nicht durch Entschädigungsforderungen der Vertriebenen gestört werden. Als diese geschehen war, sahen die EU-Staaten die Chance, die EU durch Tschechien und Polen zu erweitern, also war diesen Staaten gegenüber ein außenpolitischer Schmeichelkurs angesagt.
Gerechtigkeit für die Heimatvertriebenen: Schlechte Chancen in der großeuropäischen Politik der achtziger und neunziger Jahre. Auch Papst Johannes Paul II. hat auf seinen Reisen in Polen zur Vertriebenenfrage nicht Stellung bezogen.
IX.
Seit nun für ein halbes Jahr Deutschland den Vorsitz in der EU hat, bemüht sich Frau Merkel um einen Fortschritt in der Europäischen Verfassungsfrage. Die Verfassung als solche ist wohl gestorben, aber ein halbwegs konsensfähiges Grundgesetz für Europa wird gesucht. Am meisten sperren sich gegenwärtig Polen und Tschechien dagegen. Will man bei ihnen Erfolg haben, dann darf man nicht mit dem Reizthema der Wiedergutmachung der Vertreibungsschäden kommen. Kanzler Schröder und auch Kanzlerin Merkel haben bei Staatsbesuchen in Warschau und Prag betont, dass man sudetendeutsche und schlesische Wiedergutmachungsansprüche und besonders auch Menschenrechtsklagen beim Internationalen Gerichtshof in Straßburg grundsätzlich nicht unterstützt.
X.
Auch die Vorstellung der österreichischen Außenminister, man werde nach dem Eintritt von Tschechien, Slowakei, Polen wie mit Freunden über die Frage der Wiedergutmachung der Vertreibungsschäden in Europa reden können, hat sich offenbar als Illusion erwiesen. Es urgiert nach wie vor das Problem Temelin. Es hat absolut Vorrang in der österreichischen Politik.
Ich frage mich, wann die Gerechtigkeit für uns Heimatvertriebenen in den letzten 60 Jahren wirklich eine realpolitische Chance gehabt hat.
Das Gerechtigkeitsbewusstsein hat sich entwickelt: Das Bewusstsein, dass es keine Kollektivschuld gibt, dass es eine Verantwortung für die Vergangenheit gibt, dass es kein Recht auf Vertreibung gibt, dass es ein Recht auf Wiederkehr in die Heimat gibt. Das hat sich entwickelt.
Man kann sagen: Die Weltgeschichte war ein Fortschritt im Bewusstsein der Menschlichkeit – aber sie war – für uns - kein Fortschritt in der realen Umsetzung des Rechts und der Gerechtigkeit. Anders in Österreich und Deutschland, wo man versucht hat, Entschädigung und Wiedergutmachung zu leisten.
Eine echte politische Chance für eine reale Gerechtigkeit für uns hat es eigentlich seit Kriegsende nicht gegeben.
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B. Folgerungen
Man fragt sich dann natürlich so bei einen Generalsversammlung, wo den reelle Chancen liegen? Und man kommt zur Erkenntnis, dass man sie sich selbst durch beständige Arbeit schaffen muss.
Wir sind die letzte Generation der Erlebnis- und Wissensträger. Unsere Chance der nächsten Jahre liegt in der Erinnerungs- und Aufklärungskultur. Die Chancen in unserem Bundesland sind relativ gut im Vergleich zu anderen Bundesländern.
Einmal: Vielleicht gelingt es uns, einen Gedenktag zu etablieren, einen Heimattag um den Europatag herum, bei uns in Oberösterreich zu etablieren unter Einbindung der einen oder anderen Schule, die zu diesem Zwecke ein Projekt über uns, unsere Vertreibung, Flucht und Eingliederung ausarbeitet und öffentlich präsentiert.
Zweitens: Wir haben uns im vergangenen Jahr bei einigen Lehrertagen als Heimatvertriebene vorgestellt und unser Material verteilt. Wieweit das bei den Lehrern dazu geführt hat, dass sie uns in einer Unterrichtsstunde vorstellen, lässt sich schwer sagen. Unserem Obmann ist es gelungen, eine Einladung in eine Schule zu bekommen, um von seinen Lagererlebnissen zu berichten.
Drittens: Wenn ich über unser Bundesland hinaushöre in den deutschsprachigen Raum, dann erzählt man mir, dass in Schulbüchern extensiv zu lesen ist von den Verbrechen, die unter nationalsozialistischer Regie verübt wurden, während unsere Vertreibung, die größte der europäischen Geschichte überhaupt, deren Verbrechenscharakter immer deutlicher bewusst wird, in den Schulbüchern oft nur mit zwei, drei Sätzen abgetan wird. – Da ist ein sture Aufklärungsbeharrlichkeit gefragt. Wir warten da auf eine neue Generation von Schulbüchern, wahrheitsliebende Autoren und Journalisten. Unser Drang in die Öffentlichkeit ist gefragt.
Ich habe einmal das Buch Österreich II von Hugo Portisch durchgeblättert: den Begriff (das Wort) Heimatvertriebene habe ich nicht gefunden.
Viertens: Solange unsere Kräfte reichen, sollten wir bei Aktionen, wie es die Landesausstellung der Museen im Summerauer Hof ist, dabeisein und mitmachen. Ein hohes Lob unserem Herrn Primarius Frauenhoffer für seinen Einsatz.
Sechstens: die lokalen Erfolge der „Volksdiplomatie“, wo man gute Verbindungen zu den Heimatorten sucht, um mit aufgeschlossenen Bürgermeistern altheimatliche Kirchen zu erneuern und Denkmale auf alten Friedhöfen und über Massengräbern zu errichten sind zu begrüßen. Die hängen freilich sehr von den lokalen Bürgermeistern und ihrer Gesinnung ab. Wenn etwas erreicht wurde in der Provinz Vojvodina, dann durch unsere Ortsgemeinschaften und nicht durch die hohe Politik.
Unsere alte donauschwäbische Tugend der Selbsthilfe ist immer noch gefragt.
Ich darf also sagen, dass wir mit unserer Arbeit hier in Oberösterreich im Konzept auf dem richtigen Weg sind, wenn wir auf Aufklärung und Kultur setzen, auf Darstellung unserer Menschen und ihrer Leistung, wenn wir Erinnerung an das Unrecht unserer Vertreibung in der öffentlichen Erinnerung festmachen wollen. Aufklärungskultur – Erinnerungskultur sind ein richtiger Weg!