Beenden wir doch den 2. Weltkrieg!

von Nadežda  Radović  -  übersetzt von Stefan Barth

Ich lese die Chronologische Geschichte über die Errichtung/Vereitelung des Gedenkkreuzes auf dem Schinderpaltz in Werschetz. Dragi Bugarčić schildert die Reihenfolge der Initiativen und Versuche. Es fehlen die Informationen über die Gegenangriffe, und wenn es die nicht gegeben hätte, stünde das Gedenkkreuz schon längst.

Die Geschichte über das Kreuz ist die Geschichte über uns, über unsere Unwilligkeit, unser eigenes Bild und Werk im Spiegel zu betrachten. Ich frage mich, warum man nicht wenigstens hier den Zweiten Weltkrieg beendet, die Opfer bestattet, die unschuldig Umgekommenen betrauert und so die Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben schafft.

Wenn ich nicht selbst seit Jahren mit dieser Geschichte betraut wäre, wüsste ich nicht, wie viel Rache und Bosheit mich auf jedem Schritt begleitet. Beginnen wir mit den Tatsachen. Auf dem Schinderplatz, am Fuße des Werschetzer Berges, eigentlich auf dem Vieh- und Hundefriedhof, hinterließen die Sieger des Zweiten Weltkrieges Massengräber. Einige bestreiten, dass es diese Gräber überhaupt gibt. Auf dem Literaturnachmittag, der anlässlich der Promotion des Buches Dreilaufergasse von Dragi Bugarčić von der Gesellschaft der Schriftsteller  Serbiens veranstaltet wurde, erzählte Sava Živanov, wie er als Jung emit seinem Vater vom Feld nach Hause ging, an einer langen Kolonne Transportwagen vorbeikam, die mit Leichen, aus denen Blut geflossen ist, beladen waren. Die Transportwagen fuhren in Richtung Schinderplatz.

Es gibt mindestens einen lebenden Zeugen, der öffentlich aussagte, dass Deutsche, Einwohner der Dreilaufergasse, getötet und irgendwo am Fuße des Werschetzer Berges verscharrt wurden. Alle diese Totenbeschauer, die sich auf dem Balkan tummeln, entdecken Massengräber des letzten Krieges, identifizieren die Opfer und können auch auf dem Schindeplatz mit Sonden suchen. Das ist keine unmögliche Mission.

Das Buch von Dragi Bugarčić istb ein erschütternder Lesestoff über die Ereignisse in der Dreilaufergasse am Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Einwohner der Dreilaufergasse sind Opfer der Rache! Sie waren nur deshalb schuld, weil sie Deutsche waren, am Ende eines schrecklichen Krieges, den Deutschland verloren hatte und sie in dieser Straße wohnten. Der Grund für die Rache war der Tod eines russischen Majors, den der Bruder einer jungen Deutschen erschlagen hat, weil er versucht hatte seine Schwester zu vergewaltigen. Es gibt immer noch Zeitzeugen, die die Rache mit eigenen Augen sahen. Es wurde nach der Logik gehandelt – sie töteten 100 für Einen, und dann haben wir ihnen das gleiche angetan. Verbrechen für Verbrechen.

Die Initiative zur Errichtung eines Gedenkkreuzes kam von der Gesellschaft der serbisch-deutschösterreichischen Freundschaft. Das Geld sammelte Helmut Frisch, Architekt aus Wien, der Sohn des letzten deutschen Bürgermeisters von Werschetz, der nach kurzem Prozess liquidiert wurde, als die Sieger in die Stadt kamen. Helmut war damals noch ein Junge. Sie steckten ihn in ein Lager, aus dem er fliehen konnte, er kam nach Österreich und verbrachte sein Leben in diesem Land. Trotzdem liebt Helmut Werschetz, kommt oft, er ist stolz auf die Glasmalereien in der katholischen Kirche, die von seiner Familie errichtet wurde. Er hat viel Mühe für die Sammlung zur Finanzierung des Gedenkkreuzes aufgewendet.

Als das Geld gesammelt war, die Genehmigung erhalten (was unter unseren Verhältnissen immer ein unglaubliches Kunststück ist), erschraken viele vor dem Kreuz. Die jüdische Gemeinde und ihr Vorsitzender Aleksandar Nećak organisierten ein Treffen mit dem Ziel, das Errichten des Gedenkkreuzes zu vereiteln. Und es gelang ihnen. Bei dem Treffen waren, neben den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde, die Historikerin Branka Prpa, die Vertreter der Vereinigung der Antifaschisten und drei, es stellte sich heraus, nichtorganisierter Intellektuellen (der Religionsanalytiker Živica Tucić, der Germanist Zoran Žiletić und die Journalistin Nadežda  Radović).

Nachdem ich bei diesem Treffen anwesend war, kann ich mein Gefühl der Ohnmacht vor einer Flut von Verdächtigungen und Hass ausdrücken. Ich weiß sicher, dass ich keine Faschisten verteidige und die Opfer des Faschismus nicht ignoriere. Aber, soll man im Namen dieser Opfer die Opfer aus den Reihen der Besiegten ignorieren? Soll man über die Verbrechen an unschuldigen Deutschen und ihren Kindern im Namen der jüdischen und serbischen Opfer schweigen? Ist es nicht an der Zeit mit dem Streit, den Beleidigungen und Herabwürdigungen aufzuhören? Wie sollen wir die Befriedigung nach den Kriegen in den Neunzigerjahren erreichen, wenn wir die Geschichte über den Zweiten Weltkrieg nicht beenden?