Zoran ŽILETIć - ein ausgeglichener Geist und Tabubrecher

Von Rosa Speidel / Donauschwäbische Kulturstiftung

„Ob ich eine Kapazität bin, so wie ich diese Kategorie verstehe, bin ich mir nicht sicher. Ich habe mich mit dem Vojvodiner Schwabentum nämlich nur gewissermaßen leidenschaftlich befasst, mehr nicht“, schreibt Prof. Dr. Zoran Žiletić in einer seiner Mails. Ich lernte ihn bei einem gemütlichen Plausch in kleiner Runde im Hotel-Restaurant in Marchtrenk (nahe Linz) kennen. Wir trafen uns dort am Vorabend zum „Erinnerungstag der Heimatvertriebenen in Oberösterreich“.

Professor Žiletić: Ein genügsamer Mann, ein Gelehrter, der sich auf diskrete Art immer wieder hartnäckig zu Wort gemeldet und im Sinne der Wahrheit Vieles mehr geleistet hat, als generell bekannt ist. Seine Geisteshaltung ist die eines Pioniers, der Wege ebnet, Brücken baut und nie müde wird, sein Wissen weiterzugeben. Wie alle Pioniere wurde er am Anfang misstrauisch belächelt, mancherorts offen beschimpft und bekämpft, anderenorts jedoch bewundert und unterstützt. Er sagt von sich: „Dabei verdanke ich diese meine Erkenntnisse nur der Erlebnisgeneration. Sie sind also nicht Ergebnisse der Archivalienforschung, die in der Sache Donauschwäbisches Golgatha ohnehin kaum ergiebig wäre. So zum Beispiel behaupten die Donauschwaben, sie seien vertrieben worden und die hiesigen historiographisch und moralisch Unterernährten verneinen dies. Paradoxerweise haben beide Recht, in formalem Sinn. Als die Ersteren über die Grenze flohen, sind sie in der Tat nicht verjagt worden, sondern nur aus ihren Häusern getrieben, in die sie nie wieder zurückkehren durften.“

Mit diesen Worten bringt Professor Žiletić komplexe Gegebenheiten auf einen Nenner. Vorgänge, deren Geschichte so vielschichtig ist, dass die Fresken der Tatsachen bis heute nur bruchstückweise freigelegt werden konnten.

Professor Žiletić  sagt, er sei allein im Bereich Deutsche Sprachgeschichte, Segment Kulturgeschichte, historiographisch ausgebildet. Weil es Kulturgeschichte ohne Sprache nicht gäbe und umgekehrt, sei Kulturgeschichte gleichzeitig auch interaktiv zu verstehen, indem sie nicht politikfrei sein könne.

 

Was ist Literatur anderes als in Worte gefasste Spiegelbilder der Zeit(politik)? Was ist Kulturgeschichte anderes als das Ebenbild derer, die ihre Epoche prägen? Kultur, die Gesamtheit aller geistigen und kreativen Eigenschaften eines Volkes – ein gewaltiges Potential. Kultur, das Niveau derer, die sie schaffen, formen und konservieren. Kultur – das Leben schlechthin!
Im heutigen Serbien gibt es nur wenige, die den politischen Populismus durchleuchten, um der verschleierten eigenen (Kultur)Geschichte auf den Zahn zu fühlen. Es gehört schon eine beträchtliche Portion Weitsicht und Courage dazu, Unpopuläres zu wagen und die Konsequenzen (Repressalien) daraus durchzustehen. Zoran Žiletić ist einer jener Denker, die mit Umsicht den Blick über den nationalen Tellerrand hinaus lehren. Eine Persönlichkeit, deren Sätze vom ersten bis zum letzten Wort fesseln, ohne aufdringlich zu sein. Er gibt weiter, was er zu seiner Berufung erwählt hat. Wenn ein Serbe, der keine donauschwäbischen Wurzeln hat, ein akzentfreies, grammatikalisch makelloses, niveauvolles Deutsch spricht, ist es allein die Sprache, die einen zunächst sprachlos macht. Aber nicht nur die gewählten (auserwählten) Worte Žiletićs sind es. Es ist das, was er zu sagen hat, wie er seine Gedanken artikuliert und mit dieser Artikulation einen nachvollziehbaren Weg für den Zuhörer öffnet. Sein Intellekt und sein Scharfsinn stecken nicht nur im Wissenschaftlichen, sondern auch im Alltäglichen, literarisch Populären. Was immer seine Leitfäden sind, es sind die eines in sich ruhenden Charakters, der Faszination ausstrahlt, Neugier zeigt und Neugier erweckt.

Prof. Dr. Zoran ŽILETIć ist eine Kapazität, auch wenn er dies in seiner weisen Zurückhaltung nie von sich behauptete. Der Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte in Südost-Europa, Dr. Stefan Sienerth, führte ein ausführliches Gespräch mit ihm, das 2002 in Heft 1 der „Südostdeutschen Vierteljahresblätter“ des Instituts (heute unter dem Titel „Spiegelungen“ bekannt) abgedruckt worden ist. Dieser Text ist eine ausführliche Dokumentation über Leben und Arbeiten des Menschen und des Gelehrten Zoran ŽILETIć, aber auch des Germanisten und Humanisten. Auszug aus dem Interview: „... Der Weg zur Hochkultur im Bereich der europäischen Rechtsstaatlichkeit und der sozialen Marktwirtschaft ist nämlich über den deutschen Sprachraum wesentlich kürzer als über den des britischen Englisch oder gar Russischen. Unter anderem auch deshalb, weil diese Räume in Bezug auf Europa eigentlich am Rande blieben. Vielleicht sind diese Räume auch aus diesem Grund vor allem wirtschafts- und kulturpolitisch bedeutend weniger kooperativ mit Serbien als der deutsche Sprachraum. Um hier baldigst Abhilfe zu schaffen, müsste, meiner Meinung nach, eine Umverteilung im Bereich des Fremdsprachenunterrichts, ein Umdenken speziell im Bereich Neuere Serbische Geschichte sowie ein Umdenken im Bereich der Medien stattfinden. Die Medien in Serbien dürften sich nicht mehr an den sich inzwischen leider tief eingefressenen, von ehemaligen Institution für die Geschichte der Internationalen Arbeiterbewegung gefälschten geschichtlichen Gegebenheiten orientieren. Die universitäre Geschichtswissenschaft müsste die Unterrichtsprogramme im Bereich Neuere Serbische Geschichte revidieren und die Schule den Russischunterricht quantitativ einschränken. Auch in den Geschichtsdarstellungen müsste so manches revidiert werden ...“
Hier nennt Prof. ŽILETIć Beispiele und fügt hinzu: „... Nur wenn man dies in unseren Geschichtsbüchern auch lesen darf, wird man irgendwann aufhören, die Deutschen – ob die in Österreich oder in Deutschland – für den serbischen Erzfeind zu erachten ...“

Wie bereits auf der Internetseite der Donauschwäbischen Kulturstiftung (siehe „Archiv“) berichtet, erhielt Prof. Žiletić am 11. Juni 2011 eine der höchsten Auszeichnungen, die das Land Österreich im kulturellen Bereich zu vergeben hat: Das österreichische Ehrenkreuz für Kunst und Wissenschaft I. Klasse, verliehen vom Bundespräsidenten Fischer, überreicht vom oberösterreichischen Landeshauptmann Dr. Pühringer (das Amt ist identisch mit dem eines Ministerpräsidenten eines Bundeslandes in Deutschland). Herr Prof. Žiletić wurde gleichzeitig mit der goldenen Verdienstmedaille der Landsmannschaft der Donauschwaben Oberösterreichs ausgezeichnet. 

Zoran Žiletić, Vorkämpfer und Frontkämpfer für ein Tabu in seinem Lande, ein Mann mit urteilsfähiger Ausstrahlung und ein Mensch aus dem serbischen Volk, der den Donauschwaben den Glauben an die Individualität unabhängig von der Nationalität wiedergegeben hat.
Ich habe noch keinen Serben ähnlichen Formates getroffen, reibe mir daher immer wieder angenehm überrascht die Augen, wenn ich von ihm etwas höre oder lese. Auf dieses Leben neugierig geworden, bat ich ihn um seine. BIOGRAPHIE. Hier ist sie:

Der 1933 in Belgrad geborene Zoran Žiletić kam bereits während der Grundschulzeit mit dem dortigen Deutschtum in Kontakt. Er besuchte drei Grundschulklassen in einer Privatschule (gegründet 1852 von der Deutschen Protestantengemeinde in Belgrad). Dort studierte er auch Germanistik.
Die Weichen waren somit gestellt. Es müssen aber auch charakterliche Voraussetzungen in dem jungen Zoran vorhanden gewesen sein, die ihn zu dem brillanten Lehrer und Wissenschaftler werden ließen, den die heranwachsende Generation schätzen und bewundern lernte.
Zoran Žiletić kam 1957 als Sprach-Praktikant in ein namhaftes Großunternehmen nach Geislingen an der Steige, praktizierte 1958 bei einer Großdruckerei und Klischeeanstalt in Hannover, danach schrieb er seine Diplomarbeit. Nach seinem Pflicht-Wehrdienst in Jugoslawien arbeitete er als Deutschlektor am Institut für Germanistik an der Belgrader Universität. In den Jahren 1962 - 1964 zog es ihn wieder nach Deutschland, und zwar an die Universität Göttingen zum Aufbaustudium in den Bereichen „Deutsche Literatur des Mittelalters und Deutsche Sprachgeschichte mit Historischer Grammatik“. Anschließend war er als Wissenschaftlicher Assistent an der Belgrader Universität tätig und von 1968 bis 1971 Serbokroatisch-Lektor am Seminar für baltische und slawische Philologie der LMU München. 1971 Promotion an der Belgrader Universität. In seiner Doktorarbeit befasste er sich mit dem Systemwandel in der Wortbildung an der Wende vom Mittelhochdeutschen zum frühen Hochdeutsch am Beispiel der durch Suffigierung (Nachsilbenanhang) gebildeten Substantive und Adjektive. Ab 1972 arbeitete er als Privat-Dozent. 1978 erhielt er zunächst das Extraordinarium und ab 1985 das Ordinarium (Ordentliche Professur) am Institut für Germanistik der Belgrader Universität, dessen mehrmaliger Direktor er war.

Seit 1998 befindet sich Prof. Žiletić im sprichwörtlichen Unruhestand. Denn seine Meinung, sein Rat, sein Wissen sind gefragter denn je.

FORSCHUNGSBEREICHE:  Wortbildung im Deutschen: dia- und synchron, kontrastive Analyse. Deutsch-Serb(okroat)isch, computerisierte Sprachkorpora des Serb(okroat)ischen, Sprache und Wirklichkeit, Donauschwäbische Siedlungs- und politische Geschichte im serbischen und kroatischen Donauraum.
Als wertvolle Ergänzung sei auch folgender Text von Prof. Žiletić zitiert.
1999: Die für Sept. 1999 in Belgrad anberaumte wissenschaftliche Tagung über Literatur in den Minderheitensprachen des Donauraums, die das literarische Schaffen auch der in Serbien damals immer noch restlos satanisierten Donauschwaben ins wissenschaftliche Gespräch hätte bringen können, musste - drei Tage vor dem Einsendetermin für Einladungsbriefe - abgesagt werden, nachdem der mehrmonatige Luftkrieg der NATO gegen Milošević-Serbien am 22. März 1999 seinen Anfang nahm. Diese Tagung sollte die literarische Produktion einer jeden Minderheit innerhalb der insgesamt 22 Regionen zwischen Donaueschingen und Sulina berücksichtigen. Sie sollte im Einvernehmen mit der „Arbeitsgemeinschaft Donauländer“ (ARGE Donauländer) mit dem Sitz im niederösterreichischen St. Pölten innerhalb ihres Projekts „Kulturstraße Donau“ umgesetzt werden.

MITGLIEDSCHAFT IN GREMIEN:  Ehemaliges Mitglied der Arbeitsgemeinschaft „Kulturstraße Donau“ innerhalb des von sämtlichen Donauländern gebildeten Steuerungskomitees mit dem Sitz in Sankt Pölten; Mitglied des Initiativkreises für serbisch-donauschwäbische Gespräche (ARDI) in Wien; Korrespondierendes Mitglied des Südostdeutschen Kulturwerks in München und des in seiner Nachfolge gebildeten Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, sowie der Südosteuropa-Gesellschaft in München. Bis zur Emeritierung Korrespondierendes Mitglied des Wissenschaftlichen Rates des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim; Mitglied der Initiatorengruppe der Stiftung PRO ORIENTE für die Geschichte Südosteuropas in Wien; Ordentliches Mitglied der Academia Scientiarum et Artium Europaea in Salzburg; Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundes der Vertriebenen mit dem Sitz in Wiesbaden; Altpräsident der Gesellschaft für serbisch-deutsche Zusammenarbeit.

EHRUNGEN:  Dankesurkunde der Universität Kyrrilos und Methodios in Skopje, Makedonien, (1989) in Würdigung einer 20-jährigen Teilnahme am Aufbau des dortigen Lehrbetriebes im Bereich Germanistik, Verleihung des Förderpreises der Alexander von Humboldt-Stiftung für deutsche Sprache und Literatur in Mittel- und Osteuropa (1994). Ab 2001 Träger des Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der BRD, ab 2007 der Verdienstnadel in Gold des Verbandes der Donauschwaben in den USA und ab dem laufenden Jahr des Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst I. Klasse der Republik Österreich sowie der Verdienstmedaille in Gold der Landsmannschaft der Donauschwaben in Oberösterreich.

 

Wenn wir heute auf der Suche sind nach Raum für die Opfer, ihre Leiden zu erzählen, und Raum für die Täter, ihre Schuld zu bekennen, so ist Zoran Žiletić der Mensch, der diesen Raum im serbischen und deutschsprachigen Bewusstsein freizuhalten versucht. Er wird als Katalysator und Brückenbauer auf dem Weg zur Versöhnung unverzichtbar bleiben.

Als Fazit sei der Schlusssatz aus dem Gespräch Dr. Žiletić und Dr. Sienerth zitiert:

 „...Die Europäische Union ist letztendlich nicht allein in den wirtschaftlichen Interessen, sondern auch in der europäischen Hochkultur verankert, indem sie sich an den daraus entwickelten philosophischen, rechtlichen, ethnischen und sozialen Grundsätzen orientiert.“