ZUR SITUATION 1945

Es kann angenommen werden, dass sich in den Wochen nach Kriegsende bis zum Frühsommer 1945 über eine Million fremdsprachiger Flüchtlinge, nach alliierter Sprachregelung "Displaced Persons" ("Versetzte Personen"), im Bundesgebiet Österreichs aufhielten. Dazu kamen mit Stand Ende Mai 1945 schätzungsweise 300.000 Volksdeutsche. Obwohl 160.000, überwiegend Sudetendeutsche, weil zur Gruppe der "Potsdamstaaten" gehörend, nach Westdeutschland abtransportiert wurden, erhöhte sich Zahl der Volksdeutschen in der Folge auf rund 440.000. Außerdem hatte ab Ende 1944, als die Front die österreichische Grenze erreichte, eine Binnenwanderung von Teilen der österreichischen Bevölkerung selbst von Ost nach West eingesetzt, und die Zahl der alliierten Besatzungstruppen erreichte eine Million. "Die Binnenwanderung und die Unterbringung großer Flüchtlingsmassen brachte natürlich erhebliche Probleme mit sich und trug sicherlich nicht dazu bei, Spannungen abzubauen, denn bei allem Verständnis für die Not der Flüchtlinge und Evakuierten regten sich auch bald der Unmut und Fremdenhass wegen der Überbevölkerung und wegen der noch strengen Rationierungen." Nach der über fünf Jahre dauernden Kriegszeit waren die österreichischen Bundesländer teils durch die Bombardements der Städte, Industrieanlagen und Eisenbahnknotenpunkte, teils durch die sieben Wochen dauernden Kampfhandlungen der letzten Kriegsphase hart getroffen worden.3

Die Lebensmittelknappheit, die Erschöpfung der Wirtschaftskraft des Landes durch die Beanspruchung auch der letzten Kraftreserven während des Krieges, vor allem aber durch den "totalen Krieg" ab 1944 lasteten schwer auf der einheimischen Bevölkerung. In dieser angespannten Lage wurde naturgemäß jede weitere Belastung durch den Zustrom von Flüchtlingen und Vertriebenen als zusätzliche Erschwernis empfunden, und es mutet daher fast wie ein Wunder an, dass angesichts dieser Umstände das Land vor Anarchie verschont blieb. Obwohl die Flüchtlingshilfeorganisationen der Vereinen Nationen, der UNRRA und deren gut organisierte Nachfolgerin IRO, den volksdeutschen Flüchtlingen jede Hilfe verwehrten, wurden diese nicht zu einem Faktor der gesellschaftlichen Destabilisierung, sondern durch ihr diszipliniertes Verhalten zu einem wertvollen Aufbauelement im daniederliegenden Nachkriegs-Österreich. Die Volksdeutschen ließen sich nicht als sozialer Sprengstoff missbrauchen, vielmehr haben sie dem Staat, der sie aufgenommen hat, durch die bewährten Eigenschaften des Fleißes und der Tüchtigkeit, durch ihren Charakter und ihre sittliche Haltung menschlichen, sozialen und wirtschaftlichen Gewinn eingebracht. Sie hatten sich - wie der Amerikaner Tony Radspieler feststellt - im Hinblick auf ihr kulturelles Erbe, die soziale Gliederung und die beruflichen Neigungen eine große Nähe zu den Sitten, kulturellen Verhaltungsweisen und der Rechtssprechung des Aufnahmelandes bewahrt. Eigenschaften, die als wichtige Voraussetzungen die Anpassung dieser Gruppen an die österreichische Gesellschaft und Wirtschaft erleichterten und die Aussichten auf eine wirksame Angleichung an das neue Umfeld um so wahrscheinlicher erscheinen ließen.4

Die vier Besatzungsmächte in Österreich behielten sich gemäß Artikel 5 des Kontrollabkommens zunächst die Oberaufsicht für das Flüchtlingswesen vor. Es bestand eine DP-Sektion der amerikanischen Militärregierung. Bis etwa 1950 lag die entscheidende politische Macht, auch was die Vertriebenen betraf, bei den Militärbefehlshabern. Die Tatsache, dass die amerikanische Militärverwaltung die Registrierung aller Flüchtlinge anordnete, war der Anlass für die Entstehung einer ersten - wenn auch vagen - Vorstufe für die Vertretung der Vertriebenen in Österreich. Die Registrierungsarbeiten wurden den Komitees der einzelnen Volksgruppen überlassen, die unter einer Dachorganisation, den sogenannten "Information Centers", in denen alle  Displaced Persons (DPs = „Versetzte Personen“) zusammengefasst waren. Die deutschsprachigen Vertriebenengruppen waren unter der sie diskriminierenden Bezeichnung "Ex-enemy displaced persons" eingestuft worden. Das schloss sie,   im Gegensatz zu den anderen Gruppen, von jeder Hilfe durch internationale Stellen aus. Man überließ sie einfach ihrem Schicksal. In der amerikanischen Besatzungszone bestanden solche "Information Centers" in allen größeren Städten und Bezirksorten. Deren volksdeutsche Komitees dienten auch der Information und der Beratung der volksdeutschen Heimatvertriebenen noch vor der Errichtung der von der österreichischen Verwaltung errichteten "Zentralberatungsstellen" (ZBn), hatten aber nur in den seltensten Fällen die Möglichkeit, echte Hilfen zu bieten.

Für die als normale DPs registrierten fremdsprachigen Flüchtlinge gab es Auswanderungsmöglichkeiten in Überseeländer, von denen sie reichlich Gebrauch machten, so dass sich ihre Reihen merklich lichteten. Das bewog die amerikanische Besatzungsmacht die Information-Centers aufzulösen.

Die Verantwortung für den Personenkreis Displaced Persons, vor allem jener mit deutscher Muttersprache, ging am 15.1.1946 mit der Schaffung eines Amtes für Umsiedlung im Innenministerium (U12) endgültig in die Zuständigkeit der österreichischen Bundesregierung über. In Oberösterreich wurde bereits am 1.10.1945 eine Abteilung für Umsiedlung der damaligen Landeshauptmannschaft errichtet, die mit dem DP-Office der Militärregierung (C.I.C.,  DP. Section) eng zusammenarbeitete. Als Leiter der Abteilung Umsiedlung beim Amt der o.ö. Landesregierung wirkte Major a. D. Amtsrat Maximilian Kraus, der nach der Auflösung der Abteilung einen umfangreichen Rechenschaftsbericht von über 120 Seiten Das Flüchtlingsproblem in Oberösterreich  (1945 - 1963)  mit 9 statistischen und graphischen Übersichten verfasste.5   Kraus war außerdem in den Jahren 1952 - 1954 auf Grund seiner Fachkenntnisse als stellvertretender Direktor des Zwischenstaatlichen Komitees für europäische Auswanderung I.C.E.M. (Verbindungsmission für Österreich) in Wien tätig.

Alle diese Aktionen, so gut sie auch gemeint waren, zeigten jedoch, dass damit eine Lösung des Flüchtlingsproblems nicht herbeizuführen war. Es wurde immer deutlicher, dass die Integration der großen Masse der Heimatvertriebenen nur durch arbeits- und sozialrechtliche Gleichstellung und staatsbürgerliche Eingliederung zu erreichen war. Die gesetzgeberischen Grundlagen für die volle arbeits- und sozialrechtliche sowie die staatsbürgerliche Gleichstellung  sollte bis 30. Juni 1956 andauern. Mit diesem Datum lief das verlängerte Optionsrecht auf die österreichische Staatsbürgerschaft aus.6  Der Weg vom Rechtlosen zum Gleichberechtigten 7, vom Herbst 1944 an gerechnet, wo die ersten Flüchtlingstrecks in Österreich einlangten, betrug für Viele zwölf Jahre, von 1947, dem Hauptfluchtjahr der Donauschwaben Jugoslawiens an gerechnet zehn Jahre. Bedenkt man, dass 1957 als das Hauptjahr des Einzugs in die Siedlungshäuser und Wohnungen anzusehen ist, dann bedeutete das für Viele ein zehnjähriges Barackendasein.  Eine nähere Abhandlung der arbeits- und sozialrechtlichen Gleichstellung ist hier nicht beabsichtigt.8

FLÜCHTLINGSSEELSORGE - EINE ERSTE LINDERUNG IM HEIMATVERLUST

Einsetzung von Flüchtlingsseelsorgern

In der ersten Zeit der Heimatlosigkeit waren es hauptsächlich die Kirchen, die sich der Vertriebenen annahmen. Von den internationalen Institutionen waren diese damals die einzigen, die sich um die deutschsprachigen Heimatvertriebenen kümmerten und, so gut es ging, versuchten, Hilfen zu bieten. In diesen Flüchtlingsgruppen gab es zahlreiche Familien - Frauen, Kinder und alte Leute - deren Familienerhalter noch nicht zu ihren Familien gestoßen waren, und sich daher in einer echten Notlage befanden. Wie bereits erwähnt, lehnten es die Flüchtlingsorganisationen der UNO ab, die volksdeutschen Flüchtlinge in ihre Betreuung einzubeziehen.

Während in Deutschland von Rom ein Flüchtlingsbischof bestellt wurde, unterstanden die kath. Volksdeutschen in Österreich den Diözesanbischöfen. Diese gliederten die Flüchtlingsseelsorge diözesanrechtlich der jeweiligen Diözesancaritas ein.9

Im Jahre 1946 berief die III. Päpstlichen Mission Dr. Joze Jagodić zum Nationaldelegaten für die Flüchtlinge aus Jugoslawien.10  Dieser ernannte den aus Wukowar in Syrmien stammenden Franziskanerpater Sabinus Stefan zum Präses der Flüchtlingsseelsorge für Oberösterreich, Salzburg und Tirol. Mit den Flüchtlingspriestern Oberösterreichs hatte Pater Stefan am 11. März 1946 eine erste Beratung in Linz. 1947 wurde sein Wirkungsbereich für die volksdeutschen Flüchtlinge auf ganz Österreich ausgedehnt, am 20. März konnte er Msgr. Dr. Jagodić bereichten, dass "in allen Bundesländern die Flüchtlingsseelsorgestellen errichtet und von volksdeutschen Priestern besetzt sind".

Ein Glücksfall war es auch, dass sich der Erzbischof von Salzburg, DD. Andreas Rohracher, die Anliegen P. Stefans spontan zu eigen machte und ihm die Wege zu internationalen und höchsten amerikanischen Militärstellen ebnete. So konnte P. Stefan  schon am 18. August 1945 die Seelsorge in den Lagern der "Jugoslawen" übernehmen, die zu 80 % mit Volksdeutschen belegt waren.11

Es mussten Flüchtlingsseelsorgestellen vornehmlich für die Donauschwaben aus Jugoslawien eingerichtet werden, wobei es galt, die geflüchteten Priester, die schon in die einheimischen Seelsorge eingegliedert waren, wieder freizubekommen. Im März 1946 setzte die Erzdiözese Wien Bernhard Jakob Tonko OSA (1912–1982), schlesischer Augustiner-Eremit, wie drei Millionen sudetendeutsche Landsleute vertrieben, Flüchtlingsseelsorger der Caritas der Erzdiözese Wien. Ihm zur Seite stand der aus dem serbischen Banat stammende Dr. Michael Lehmann für die religiöse Betreuung der donauschwäbischen Flüchtlinge. In Linz, wo sich volkreiche Flüchtlingslager befanden, erteilte bereits im März 1946 nach wiederholten Interventionen von Pater Stefan das Bischöfliche Ordinariat der Diözese Linz die Genehmigung dazu und nach Regelung der Kompetenzen gegenüber der Diözesanseelsorge  erfolgte im Mai 1946 die  Ernennung von Prof. Josef Haltmayer, zum Flüchtlingsseelsorger.12  Im Januar 1948 wurde Prof. Hans Grieser zum Flüchtlingsseelsorger für Tirol und Vorarlberg mit Sitz in Haiming und im März 1948 Alexander Thiel für Graz/Seckau ernannt. Im September folgte Klagenfurt/Gurk für Kärnten.13  Das Bestreben "die geistige Not der Heimatvertriebenen zu lindern", war das Leitmotiv, das Pater Stefan in seinem unermüdlichen Eifer für seine Landsleute beflügelte. "Man kann sagen, dass der Einsatz der Lagerseelsorger für das Ausharren und Durchhalten der Heimatvertriebenen im Glauben von entscheidender Bedeutung war", schreibt einer seiner Mitarbeiter.14

Auch in materieller Hinsicht war das diözesankirchliche Plazet zur Etablierung einer eigenen Seelsorge wichtig: Erst jetzt konnte Kontakte zu ausländischen, vor allem US-kirchlichen Stellen (NCWC, Lutherischer Weltbund, Quäker u.a.) geknüpft und in der Folge mit Hilfsgüter, vorab Textilien und Lebensmitteln, den notleidenden Flüchtlingen geholfen werden.

Vermittlung ausländischer Betreuungsinitiativen

Daneben hat sich Pater Stefan im Hinblick auf seine Herkunft aus einfachem bäuerlichem Hause jedoch stets eine echte Volksverbundenheit mit den einfachen Menschen seines Volksstammes bewahrt, und seine Sorge galt daher primär den in den Lagern hausenden Familien. Auch von seinem Salzburger Amtssitz entfernte Orte mit größeren Gruppen Heimatvertriebener bezog er in seine Betreuung und die praktische Seelsoge ein, um mit ihnen eigene Gottesdienste zu feiern und um an sie Worte der Stärkung und Ermunterung zu richten. Im Rahmen der von Pater Stefan als volksnahem Seelsorger geförderten Brauchtumspflege konnten Akzente gesetzt werden, die eine beträchtliche Breitenwirkung in der Öffentlichkeit und in den eigenen Reihen erzielten. Als Beispiel sei an die Teilnahme der sogenannten "Muttergottesmädchen" an den großen Fronleichnamsprozessionen in Salzburg und an vielen Wallfahrten nach Altötting erinnert. Den Teilnehmern und Zuschauern der Salzburger Bevölkerung konnte so eine typische spirituelle Komponente der Volksfrömmigkeit der Donauschwaben vermittelt und diese selbst "in eigenartiger Weise aufgerüttelt" werden.

Pater Stefan konnte bei seiner schwierigen Seelsorgearbeit stets auf die vorbehaltlose Unterstützung des Salzburgers Erzbischofs DDr. Andreas Rohracher rechnen, den man als den großen Freund und Helfer der Heimatvertriebenen in einer Zeit bezeichnen kann, als sich noch viele "Offizielle" von den Volksdeutschen distanzierten. Der Erzbischof hat sich stets für die Hilflosen und Rechtlosen eingesetzt. Bereits als Bischof von Gurk-Klagenfurt hatte er sich vor 1945 unter Protest gegen das Unrecht gewandt, das gegen slowenische Priester und Familien durch gewaltsame Umsiedlungen verübt wurde. Unmittelbar nach Kriegsende war es seinem Einschreiten bei der amerikanischen Besatzungsmacht zu verdanken, dass Hunderte von eingekerkerten Heimatvertriebenen und Flüchtlingen nicht an die kommunistischen Regime im Osten ausgeliefert wurden, und sie dadurch vor dem Schlimmsten bewahrt blieben. Dr. Rohracher erreichte auch, dass die in den Kellern Salzburgs eingekerkerten hauptsächlich donauschwäbischen Männer der Waffen-SS von den Amerikanern und Serben nicht weiter misshandelt, sondern freigelassen wurden.

Ein besonderes Anliegen der Erzbischofs war die Förderung der amerikanischen NCWC (National Catholic Welfare Conference), die in Salzburg für Österreich ihr Hauptquartier aufschlug und zusammen mit den donauschwäbischen Landsleuten in den USA (Peter Max Wagner, Nikolaus Pesch, Father Matthias Lani u.a.15) viele Hilfssendungen von Lebensmittel-, Kleidungs- und Medikamentenspenden nach Österreich und Jugoslawien durchführte. Weitere Grundsteine dieser Zusammenarbeit legte Erzbischof Rohracher anlässlich der Weltkirchenratskonferenz 1950 in Salzburg, die wesentlich dazu beitrug, dass die Hürden für eine Auswanderung der moralisch und politisch diskriminierten Volksdeutschen in die USA überwunden werden konnten. Auch bei der Herausgabe der ersten Nummer des "Neuland" - des ersten Presseorgans der Donauschwaben nach 1945 in Österreich - stand der Erzbischof Pate, ebenso bei der Gründung des von Pater Stefan und dem evangelischen Donauschwaben Anton Rumpf geleiteten Christlichen Hilfswerkes16 .

Gegen die kollektive Diskriminierung der Donauschwaben

Von besonderer Bedeutung war, dass es Pater Stefan gelang, die kollektive Diskriminierung der Donauschwaben zu überwinden, der diese ausgesetzt waren, weil ein hoher Prozentsatz ihrer wehrfähigen Männer während des Krieges aufgrund zwischenstaatlicher Abkommen zwischen dem Dritten Reich und mehreren Südosteuropastaaten zum Wehrdienst in den Formationen der Waffen-SS verwendet wurden, da die Wehrmacht ihre Soldaten nur unter den deutschen Staatsbürgern rekrutieren durfte.

In einem seiner Tagebücher befinden sich folgende Eintragung: "Deutschland hat gesündigt gegen die Juden, Polen und andere Völker. Jetzt müssen wir alle für diese Verbrechen büßen. 'Wartet ihr Nazi-Leute!' heißt es immer wieder, und diese Drohung trifft auch unsere 'Kittlweiber', unsere 'Modre' mit den dickleibigen Gebetbüchern und den abgewetzten Rosenkränzen in den dürren, von Arbeit und Sorge um die Familie gezeichneten Händen." Dann begehrt er  auf: "Wir waren keine Nazi-Leute! Wir sollen nun den Sündenbock für die Verbrechen anderer abgeben. Das ist eine krasse Ungerechtigkeit."17  Ein hoher amerikanischer Offizier warf ihm vor, er solle sich als katholischer Priester schämen, sich für solche "Verbrecher" einzusetzen, für die man damals die volksdeutschen Angehörigen der Waffen-SS hielt.18

"Inzwischen waren - nach Abschluss der Rückführung von Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und Versprengten aller Art in ihre Herkunftsländer, Volksdeutsche natürlich ausgenommen, ... die großen Auswanderungsaktionen angelaufen, die Zehntausende in die USA und nach Kanada, aber auch nach Australien, Südamerika (Venezuela-Aktion der Bukowiner, Brasilien-Aktion der Donauschwaben 19), nach Frankreich (Schumann-Aktion der Banater 20) und im Rahmen von Migrationsbewegungen mehr oder weniger individueller Art in ein Dutzend anderer Staaten brachten. Bezüglich der Auswanderungswilligen, die sich "heraus aus den Baracken"21  drängten, gab es für die Angehörigen der ehemaligen Feindstaaten (ex-enemies) - zunächst für Kroaten und Slowaken, nicht aber für Magyaren, da Ungarn noch in der allerletzten Kriegsphase zu den Alliierten überwechselte - und freilich für alle Volksdeutschen in der US-Einwanderungsgesetzgebung noch Barrieren zu überwinden.

Um die Donauschwaben vor der Weltöffentlichkeit zu rehabilitieren, veranlasste Pater Stefan, dass Memoranden in englischer und französischer Sprache an wichtige internationale Institutionen ergingen. Die Dokumentation, verfasst 1949, war die erste zeitgeschichtliche zum Thema "Freiwilligkeit der volksdeutschen Waffen-SS". In diesem Zusammenhang veröffentlichte er etwas später seine Aufklärungsschrift apologetischen Charakters "Vom Schicksal der Donauschwaben" - vermutlich die erste volksdeutsche Publikation nach 1945. Aktionen gegen die pauschale Diskriminierung der ganzen Volksgruppe wurden gleichzeitig in Europa und Amerika geführt.

Dank des Einsatzes von Peter Max Wagner, des rührigen Präsidenten der New Yorker Präsidenten der Donauschwaben und zugleich Präsidenten von "United Friends of Needy and Displaced Persons", konnte in den USA ein durchschlagender Erfolg erzielt werden, da Wagner durch seine parteipolitischen Beziehungen zum amerikanischen Präsidenten Harry Truman diesen Bestrebungen zur moralischen Rehabilitierung auch der Waffen-SS Angehörigen Gehör bei den höchsten Stellen der amerikanischen Administration verschaffen konnte.

Voraussetzung für den Erfolg war eine von Pater Stefan und Kons.-Rat Josef Haltmayer eingeleitete Dokumentensammlung über die "Freiwilligkeit" der donauschwäbischen Waffen-SS-Angehörigen, die nach der Bearbeitung und  Endredaktion durch Professor Adalbert K. Gauss zehn internationalen mit Flüchtlingsfragen befassten Stellen überreicht wurde. Peter Max Wagner konnte dank seiner Verbindungen zu kirchlichen Stellen und einflussreichen Freimaurern die Dokumentation allen jenen Persönlichkeiten vorlegen, die im Kongress und Senat für eine Änderung der diesbezüglichen US-Einwanderungsbestimmungen zugunsten der ehemaligen Waffen-SS-Angehörigen ausschlaggebend waren. Erleichternd kam hinzu, dass in der Waffen-SS-Divisionen nicht nur Volksdeutsche, sondern auch Angehörige anderssprachiger Volksgruppen gedient hatten.22 

"Noch mehr als die Zulassung zur Auswanderung in die USA war dieser Erfolg von großer psychologisch-moralischer und wirtschaftlicher Bedeutung, da es damit zum ersten Mal gelungen war, die Diskriminierung der ganzen donauschwäbischen Gruppe, die infolge der Zugehörigkeit eines hohen Prozentsatzes ihrer wehrfähigen Männer zur Waffen-SS als 'faschistisch' verschrien war, auf internationaler Ebene zu überwinden."23  „Die Bemühung, die politisch diskriminierende und existentiell die Flüchtlinge gefährdende Klausel in der US-Einwanderungsgesetzgebung zu beseitigen, war ... nicht nur ein humanitäres Problem für Zehntausende Vertriebene, sondern auch ein Politikum ersten Ranges insofern, als es galt, dagegen anzukämpfen, dass den Opfern der Politik des Dritten Reiches zusätzlich noch eine Art Kollektivschuld am Kriegsgeschehen angelastet wird.“24

Vom 9. Sept. bis 23. Okt. 1949 besuchten Peter M. Wagner und das Vorstandsmitglied Lucas Müller Vertriebene und DP-Lager in Deutschland und in Österreich und trafen hier führende Landsleute. Sie sprachen aber auch bei den Konsulaten und bei den US-Besatzungsbehörden vor, die nun erfuhren, dass deutsche Heimatvertriebene in der Gestalt amerikanischer Bürger Fürsprecher hatten. Sie sprachen mit den maßgebenden Vertretern der Heimatvertriebenen, mit dem österreichischen Innenminister Oskar Helmer, dem evangelischen Bischof Gerhard May, Wien, und Erzbischof Andreas Rohracher von Salzburg. Sie besuchten auch das Krankenhaus für lungenkranke Volksdeutsche in Thalham, Oberösterreich, das vom Hilfsverein gefördert wurde. Schließlich konferierten sie mit Dr. E. Gerstenmaier, dem Leiter des Hilfswerkes der Evangelischen Kirche in Deutschland [EKD]. 

„Diesen ersten Bemühungen folgte ein Aufklärungsfeldzug über vorhandene oder neu geknüpfte Verbindungen zu internationalen Stellen sowie über einen zwar zahlenmäßig geringen aber einflussreichen Teil der Weltpresse, und es gelang schließlich anlässlich der Salzburger Tagung des Weltkirchenrates 1950 über diese Körperschaft die Weltöffentlichkeit anzusprechen.“25

Der "Flüchtlingskongress" des Ökumenischen Rates 1950

Es war  merklich um 1950 deutlich erkennbar, dass die Frage der Vertriebenen und Flüchtlinge ein internationales Anliegen geworden war, mit dem sich Regierungen, humanitäre und wissenschaftliche Stellen zunehmend beschäftigen. „Wohl waren die Lager noch überfüllt, die Flüchtlinge in ihren beruflichen Möglichkeiten behindert, die Umrisse einer echten Eingliederungschance nur angedeutet, eher gefühlsmäßig und von einer vagen Hoffnung genährt als empirisch begründbar. Die Provisorien, die die mit dieser Frage befassten staatlichen Stellen, konkret wohl zunächst das Innenministerium, anzubieten hatten, spiegelten eine gewisse Ratlosigkeit und Unsicherheit, was nicht zuletzt auch darin Ausdruck fand, dass sich das zuständige Referat "Amt für Umsiedlung" nannte.

Dass in den fünfziger Jahren bei einer breiteren Öffentlichkeit ein echtes Bedürfnis nach sachlicher Information über das österreichische Flüchtlingsproblem spürbar war, bestätigt auch der vom Weltkirchenrat nach Salzburg einberufene Flüchtlingskongress (17. bis 19. Januar 1950). Die Ökumene, ein gewichtiges Instrument der protestantischen Weltkirche, wurde immer wieder zur Diskussion brennender Probleme der leidenden Menschheit eingesetzt und sicherte mit dem Salzburger Kongress dem österreichischen Flüchtlingsproblem einen bevorzugten Stellenwert in der internationalen Politik. Die gründlichen Vorarbeiten in Genf ermöglichten dem in mehreren Arbeitskreisen tagenden Kongress, zielstrebig auf konkrete Ziele hinzuarbeiten, wobei sicherlich die in Resolutionen festgehaltene Überzeugung der Tagungsteilnehmer in der zu Hilfsleistungen aufgerufenen Welt und in Österreich selbst psychologisch am nachdrücklichsten wirkte, wonach das Problem eben lösbar sei und in Österreich wohl leichter als in manchen anderen Ländern.26

"Im vorwiegend katholischen Österreich, in dem nahezu 80 Prozent der Flüchtlinge zudem ebenfalls Katholiken waren, aber auch in der großen Welt wurde besonders vermerkt, dass lange vor der angebrochenen Ökumenischen Bewegung der Erzbischof von Salzburg, Dr. Andreas Rohracher, an den Eröffnungsfeierlichkeiten der Weltkirchenratskonferenz (1950) teilnahm und in seiner Begrüßungsadresse mit Bezug auf die von A. K. Gauß 27  dem Kongress vorgelegte Dokumentation des Leidensweges volksdeutscher Kinder in Jugoslawien auf die Dringlichkeit einer menschenwürdigen Lösung der Frage hinwies. Allerdings beklagte noch im Mai 1951 der UN-Flüchtlingshochkommissar, Dr. von Heuven-Goedhart, das Fehlen eines Generalplanes für Österreich."28

Übersiedlung ins Ausland – der alternative Horizont

In der tiefen Not der zunächst völlig perspektivlosen Nachkriegssituation erkannte Pater Stefan das Erfordernis eines völlig neuen donauschwäbischen Konzeptes für seine ethnisch und historisch einheitliche Merkmale aufweisende Vertriebenengruppe. Der Neubeginn sollte schon in der Einheitsbezeichnung "Donauschwaben" seinen Ausdruck finden, für die sich Pater Stefan mit großem Nachdruck einsetzte. Sie war zwar schon seit Anfang der zwanziger Jahre in wissenschaftlichen Publikationen in Verwendung, hatte sich aber bis zur Vertreibung im allgemeinen Sprachgebrauch noch nicht durchsetzen können. Der Zweck war, diese südostdeutsche Stammesgruppe, die seit dem Friedensdiktat von Trianon in drei Staaten lebte, unter einem Namen zusammenzufassen, um ihr mehr Gewicht im politischen Umfeld zu verschaffen, aber auch um sie von anderen volksdeutschen Vertriebenengruppen, für die andere politische Voraussetzungen und Vorstellungen maßgebend waren, besser zu unterscheiden.

Neben der Überwindung der politischen Diffamierung und des rechtlosen Status seiner Landsleute ging es Pater Stefan nicht minder um die Sicherung und Verankerung der nackten Existenz tausender Familien sowohl im Wirtschaftsleben des Aufnahmelandes wie auch durch Auswanderung und Ansiedlung in anderen europäischen Staaten oder in Überseeländern, wenn sich dafür günstige Perspektiven eröffneten. So förderte er u.a. die Ansiedlungsaktion in Frankreich, die aufgrund eines Beschlusses der französischen Regierung von den Donauschwaben Dr. Reitter und H. Lammesfeld im Sommer 1949 angelaufen war. Diese Aktion lief im Rahmen des Zusammenwirkens zwischen der französischen Mission für die US-Zone Österreichs, dem "Comité des Francais du Banat" und des oberösterreichischen Amtes für Umsiedlung ab und wurde vom französischen Ministerpräsidenten Robert Schumann gefördert. Es war geplant, die Banater, Nachkommen der aus Lothringen und dem Elsass stammenden Kolonisten des 18. Jh. in Frankreich verstreut sesshaft zu machen und ihnen Grund und Boden pachtweise zu überlassen, bzw. ihnen als landwirtschaftliche Arbeiter oder Handwerker eine Existenz zu verschaffen. Die ursprünglich einschränkende Bestimmung hinsichtlich der Zugehörigkeit zur ehemaligen Waffen-SS war auf Grund eines Beschlusses des französischen Außenministeriums in Wegfall gekommen. Die Aktion erfasste vor allem donauschwäbische Vertriebene in oberösterreichischen Lagern. Es konnten insgesamt 14.000 Interessenten verzeichnet werden, von denen schließlich über 5.000 Menschen in 37 Transporten nach Frankreich umgesiedelt wurden.29  Diese Aktion erfasste auch andere Bundesländer.

Pater Stefan lag die berufsgerechte Ansiedlung des bäuerlichen Teils seines Völkchens in geschlossener Siedlungsweise auf noch zu findendem Siedlungsland besonders am Herzen. Land für eine geschlossene Ansiedlung auch nur eines Bruchteiles der donauschwäbischen Bauern war aber in Europa leider nicht verfügbar. "Im Herbst 1949 erhielt Pater Stefan auf Intervention des Erzbischofs Dr. Rohracher und des Bundeskanzlers Ing. Figl endlich die Reisedokumente für sich und Ing. Michael Moor, um eine Erkundigungsfahrt für Auswanderungsmöglichkeiten zu unternehmen (....) Der Hauptzweck dieser fast einjährigen Reise, die von der Caritas Internationalis finanziert wurde und auf der Pater Stefan in Argentinien. Bolivien, Brasilien und USA mit den zuständigen Stellen verhandelte und unzählige Vorträge hielt, war die Suche nach einem geeigneten Landstrich für eine bäuerliche Ansiedlung der Donauschwaben.30  Im Herbst 1951 begann mit tatkräftiger Unterstützung der Schweizer Europahilfe die Ansiedlung von fünf Dörfern im Distrikt Guarapuava im Staate Paraná, Brasilien, mit etwa 2.500 Donauschwaben vornehmlich aus oberösterreichischen Flüchtlingslagern. Als geistiger Vater dieses nach anfänglichen Schwierigkeiten überaus erfolgreichen Siedlungsprojektes ist Pater Stefan anzusehen, wenn er auch "durch nicht ganz faire Vorgänge" von dessen endgültiger Realisierung ausgeschaltet wurde.31  Angesichts des alle Erwartungen übertreffenden Erfolges dieses "Modellprojektes einer bäuerlichen Siedlung" und seine befruchtenden Auswirkungen auf die Landwirtschaft Brasiliens, kann man nicht umhin, die Frage zu stellen, welche wirtschaftlichen Erfolge in den Entwicklungsländern hätten erzielt werden können, wenn man damals das gesamte verfügbare Potential der tüchtigen donauschwäbischen Bauern für ähnliche landwirtschaftliche Ansiedlungen hätte fruchtbar werden lassen.

"Verband Katholischer Donauschwäbischer Akademiker"

Pater Sabinus Stefan war Leiter der "Katholischen Flüchtlingsseel- und Fürsorgestelle" im Barackenlager an der Lehener Brücke. Um bei  ihrer großen Zerstreuung alle Heimatvertriebenen ansprechen zu können, regte Pater Stefan die Herausgabe der "Heimatglocken" als Kirchenblattbeilage in Linz an. Auch fasste er den Entschluss, im Rahmen der Salzburger Flüchtlingsseelsorge den "Kulturspiegel" herauszubringen, um über das geistige Schaffen der Heimatvertriebenen zu berichten. Auf seine Initiative und durch die Mitarbeit der Salzburger Donauschwaben Dr. Hans Schreckeis und Prof. Adalbert Karl Gauss gelang es, hier bereits 1946 ein "Kulturausschuss der katholischen Flüchtlingsseelsorge" gegründet, der unter der Leitung von Dr. Johann Schreckeis, dem aus Vukovar in Syrmien stammenden Arzt, stand und das Ziel hatte, die katholischen donauschwäbischen Akademiker zu sammeln.32

Nach drei Jahren, am 23. 5. 1949, wurde nach organisatorischen Überlegungen bei Exerzitien im Stifte Lambach mit amtlichem Schreiben des Ordinariates Salzburg der "Verband Katholischer Donauschwäbischer Akademiker" (VKDA) ins Leben gerufen. Sein Zweck war die "Erhaltung und Förderung des katholischen Glaubens unserer heimatlosen Menschen", zu dessen Verwirklichung die Akademiker Vorträge halten sowie Zeitungen und Bücher herausgeben und Bibliotheken einrichten sollten. Ferner sollten in den Vereinen der christliche Geist gefördert und für die Familien gute Wohnverhältnisse   geschaffen werden.33

Der VKDA blieb, wirft man einen Blick auf das Gesamtbild der Donauschwaben, die in Österreich sesshaft wurden, bis Anfang der achtziger Jahre, also für 30 Jahre, wohl die spirituellste und kulturell fruchtbarste Einrichtung der Donauschwaben. Seinen Satzungen gemäß veranstaltete er in seinen ersten zwei Dekaden jedes Jahr religiöse Exerzitien oder eine Studienveranstaltung, er kümmere sich um die donauschwäbischen Jungakademiker, die in seinem Rahmen den VKDH (Verband Katholischer Donauschwäbischer Hochschüler) mit Ortsgruppen in Wien, Graz und Salzburg gründeten.34

KIRCHLICH INITIERTE UND/ODER GEFÖRDERTE SIEDLUNGSINITIATIVEN IN ÖSERREICH

Salzburg: Das Projekt in der Paracelsusstraße

Es ging indes in den ersten Nachkriegsjahren nicht nur um seelische Nöte. "Pater Stefan erkannte, dass die seelischen Nöte und die sittliche Gefährdung vielfach von der materiellen Not und besonders von der Wohnungsmisere verursacht wurden. Wenn er Vertreter des In- und Auslandes durch die Wohnbaracken, in denen oft drei bis vier Generationen gleichzeitig in einem einzigen Raum Jahre hindurch leben mussten, führte, dann drängte sich die, wenn auch nicht immer ausgesprochene, Frage auf: 'Wie soll hier eine christliche Familie gedeihen......?' Er wusste wohl, dass (nach Thomas von Aquin) die Übernatur auf der Natur aufbaut. Darum suchte er, mit der ihm eigenen Zähigkeit die Lebensbedingungen, die Wohnverhältnisse der obdachlosen, hilfsbedürftigen Heimatvertriebenen zu verbessern, um ihnen leichter verkündigen zu können: 'Der Mensch lebt nicht vom Brot allein' ".35   Wohl als erstes "geschlossenes" Siedlungsvorhaben - wenn auch nur mit neun Familien - wurde das vom VKDA getragene Projekt in der Paracelsusstraße in Salzburg verwirklicht, damals, 1949, eine Pionierleistung, die eine Kettenreaktion auslöste und im Raume Salzburg eine kontinuierliche Siedlerbewegung begründen half: Flüchtlingsprojekte in Morzg-Gneis, Elsbethen, Laschensky-Hof, Salzachsee, Bergheim wuchsen wie aus dem Boden. Die dynamische Kraft, die diese Entwicklung in Bewegung setzte, war zweifellos Med.-Rat. Dr. Hans Schreckeis.36

Als das Paracelsus-Projekt nicht weiterwirken wollte, schaltete sich der Caritasdirektor  Msgr. Kriechbaum ein und sicherte den obengenannten Siedlungsprojekten finanzielle Zusagen der Caritas Internationalis.37  Das Stift St. Peter überließ den Leuten aus den überbelegten Lagern in Elsbethen ein Siedlungsgelände zu günstigen Preisen.38  Am 11. 11. 1949 richtete der Präsident der katholischen Aktion, Kom.-Rat Rücker, zusammen mit Dr. Schreckeis und einem Empfehlungsschreiben Erzbischof Rohrachers ein Ansuchen an die Caritas Internationalis um Gewährung einer Subvention in der Höhe von 100.000-150.000 Schilling. Sie wurde gewährt als zinsloses Darlehen von 12.000 Schilling pro Familie mit kurzfristiger monatlicher Rückzahlung. Es war die „Heilig-Jahr-Aktion 1950“, die einen Durchbruch im Eingliederungstrend, auf jeden Fall für die Heimatvertriebenen in Salzburg und Oberösterreich bedeutete.39

"Durch Vorsprachen bei städtischen- und Landesbehörden, durch Interventionen bei kirchlichen Stellen, durch Kontaktnahme zu internationalen Hilfsorganisationen und nicht zuletzt durch Gespräche der Ermutigung Einzelner verstand er es, das aufkommende Gefühl zu festigen, dass man sich dem Wagnis stellen könnte. Kirchlich und international geförderte Siedlungsgenossenschaften wurden allmählich ins Leben gerufen.40  Bundes- und Landeskredite konnten beansprucht werden - eine Eigenheim- und Eigentumswohnung-Bewegung griff um sich, die oft genug von führenden Politikern, vor allem von einzelnen Landeshauptleuten (Dr. Heinrich Gleißner in Oberösterreich, Dr. Josef Klaus in Salzburg, Josef Krainer in der Steiermark), als mustergültig und beispielgebend auch für die Alteinheimischen herausgestellt wurde."41

Es schien ein Experiment gegen jedwede Rationalität zu sein, und die Siedlungsgenossenschaften waren sich von Anfang an dessen bewusst, „dass ein Großteil der Flüchtlinge zunächst nur auf dem Wege von billigen Krediten, sondern durch „verlorene Zuschüsse'  gestützt werden musste, wenn man ihnen in absehbarer Zeit  aus dem Barackenelend in Eigentumswohnungen und Eigenheime  herüberhelfen wollte. Einzelne Baugenossenschaften entwickelten einfallsreiche Konzepte zur finanziellen Stützung ihrer Vorhaben. Vielfach wurde der diese Bautätigkeit gerade auch durch kirchliche Stellen gefördert eingedenk der gewonnenen Überzeugung, dass die Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung nicht zuletzt dadurch abgesichert werden müssen, dass man elementare Bedürfnisses menschenwürdiger Existenz befriedigt, und dazu gehört u. a. gerade auch die Lösung des Wohnungsproblems. Es war kein Zufall, dass sie in der ersten Zeit vor allem auch Geistliche aller Konfessionen mit besonderer Intensität als „Bauherren' betätigten: Senior Meder, Prälat Prof. Haltmayer, Msgr. Thiel, Prior Pater Tonko, Pater Stefan, Oberpfarrer Bolz, Geistl. Rat Dr. Lehmann, Pfarrer Diel. Der Lutherische Weltbund, der Weltkirchenrat und die Ostpriesterhilfe des „Speckpaters' Werenfried van Straaten (mit seinen Baugesellen, Anm. G.W.), die Schweizer Europahilfe (heute Swissaid) die Norwegische Europahilfe, die NCWC, die Brethren-Service, die Ford-Foundation (meist über kirchliche Stellen), die Methodisten, die amerikanischen Quäker u.a.m. stützten diese sozialpolitisch gesehen avantgardistische, gegen jede scheinbare Rationalität sprechende Vorhaben und halfen damit einer von moralisch-ethischen Überlegungen geförderten Bautätigkeit zum Durchbruch. Dass dem einzelnen Siedler nicht immer bewusst war, aus welchen geistigen Überlegungen heraus ihm geholfen wurde, soll nicht verschwiegen werden“.42

Diözese Linz: „Flüchtlingsaufbauhilfe“ im Rahmen der Caritas

Josef Haltmayer (1913-1991), als Priester Religions- und Lateinlehrer am Deutschen Gymnasium in Neuwerbaß in der Batschka, verblieb nach seiner   Flucht 1944 in Linz. Schon bald nach Kriegsende hatte er erkannt, dass er sich der entwurzelten donauschwäbischen Vertriebenen und Flüchtlinge in Österreich annehmen müsse. Er übernahm zu Allerheiligen 1947 die Leitung der volksdeutschen Flüchtlingsseelsorge der Diözese Linz und das Referat der Flüchtlingshilfe des Caritasverbandes Linz. Während die ersten Jahre dieses Einsatzes auf dem Gebiet der Caritas der Not der Zeit entsprechend durch große Kleider- und Lebensmittelhilfsaktionen gekennzeichnet waren, galt es in seelsorgerischer Hinsicht für die zahlreichen großen Volksdeutschen-Lager eigene Pfarreien bzw. Exposituren mit Lagerkirchen und Lagerseelsorgestellen zu schaffen. Es fanden sich zu diesem Dienst bereits donauschwäbische Seelsorger, so dass mit Zustimmung der Linzer Bischöfe Josef Cal. Fließer und Franz Sal. Zauner sieben Exposituren mit fünf Jugendheimen, Lagerbibliotheken und Lagerkindergärten errichtet werden konnten.

Um den Geflüchteten, die ohne Papiere dastanden und denen es nicht möglich war, aus der Heimat Dokumente zu besorgen, zu helfen, organisierte Haltmayer die Ausstellung von Ersatzdokumenten (Tauf- und Trauungsbescheinigungen u. a.). In der Zeit von Ende 1948 bis Mitte 1965 konnten allein 37 824 solcher Ersatzdokumente durch Haltmayer und seine Mitarbeiter ausgestellt werden.

Nachdem ihm klar geworden war, dass die größte Aufgabe darin bestand, den Flüchtlingsfamilien zu Wohnungen und Eigenheimen zu verhelfen,  richtete Haltmayer im Rahmen des Caritasverbandes die sogenannte Flüchtlingsaufbauhilfe ein. Zunächst konzentrierte sich der Einsatz der Aufbauhilfe auf die Erstellung einiger Modellsiedlungen für Flüchtlinge, mit dem Ziel, diesen zu zeigen, wie die einzelne Familie günstig zu einem eigenen Einfamilienhaus kommen konnte. Die in den Jahren 1951 bis 1956   errichteten vier Modellsiedlungen in Linz Süd (Caritassiedlung, Kirchfeldsiedlung, Rudigiersiedlung und Werenfriedsiedlung) mit insgesamt 71 Einfamilienhäusern für volksdeutsche Flüchtlinge lieferten den in Oberösterreich zerstreut lebenden Flüchtlingen den konkreten Beweis, dass es auch für sie einen Weg zum Eigenheim gab. Da von den österreichischen Wohnbaufonds für staatenlose Flüchtlinge keine billigen Wohnbaukredite zu bekommen waren und da die normalen Bankkredite nicht in Frage kamen, blieb nur der Ausweg, das Geld im Ausland zu besorgen. Und das anfangs Unwahrscheinliche gelang.

Nach der Schweizer Auslandhilfe, die als erste vorausgegangen war, ließen sich auch die Amerikanische Fordstiftung, die Norwegische Europahilfe, die Englandhilfe und die Ostpriesterhilfe herbei, der Aufbauhilfe des Caritasverbandes nicht rückforderbare Geldmittel als Aufbaufonds zur Verfügung zu stellen, aus dem den Flüchtlingsfamilien zinslose Darlehen nur zur Fertigstellung ihrer aus eigener Initiative begonnenen Familienhäuser gewährt werden konnten. Die Gewährung eines Darlehens war mit der strengen Auflage verbunden, sofort nach dem Einzug in das eigene Haus mit der Rückzahlung des Darlehens zu beginnen, wobei der Darlehensempfänger die Höhe der rückzuzahlenden Monatsraten selbst bestimmen konnte. Diese Aktion hat so gut eingeschlagen, dass allein im Bundesland Oberösterreich, für das Haltmayer zuständig war, aus der Flüchtlingsaufbauhilfe bis zum Jahre 1965 rund 1.800 Einfamilienhäuser durch die genannten zinslosen Darlehen für rund 9.000 Menschen gefördert werden konnten. Bis zum Auslaufen des Kreditfonds der Flüchtlingsaufbauhilfe des Caritasverbandes Linz im Jahre 1971 konnten 2.369 Flüchtlingsfamilien zinslose Darlehen in der Höhe von insgesamt 33,8 Millionen Schilling erhalten. Haltmayer erhielt vom Vertreter des Hohen Kommissars der UNO in Österreich die Ehrenbezeichnung »Apostel der Streusiedler«. Prälat Josef Haltmayer war ein Wegweiser, in national-konservativer Gesinnung stets bemüht, seinem Donauschwaben den Weg in die Zukunft zu weisen und sie den guten Tradition der Vorfahren treu zu erhalten.43

Finanzhilfe und verbilligte Grundbeistellung 

Diözesen und Stifte waren schnell bereit, zu niedrigen Preisen Baugrund zur Verfügung zu stellen. Ein Beispiel: Im aus dem Krieg stammenden Barackenlager von Stadl-Paura fanden 6.000 Heimatvertriebene ihre erste Bleibe. 1953 formiert sich eine entschlossene Gruppe mit dem Ziel, Eigenheime zu bauen. Nach kurzen Verhandlungen stellte das Benediktinerstift Lambach ein hinter den Baracken liegendes Grundstück unter günstigen Bedingungen zur Verfügung. Die Parzellen waren schnell verkauft und die Siedler begannen mit ihren Ersparnissen ab 1954 zu bauen. Als ihre Eigenmittel erschöpft waren, schlossen sie sich der Genossenschaft „Salzkammergut“ an, um auf diese Weise Darlehen vom Land Oberösterreich zu bekommen. Bis 1975 waren 270 Eigenheime und 90 Wohnungen gebaut. Die Siedlung nennt sich nach dem „Erzschwaben“ Adam-Müller-Guttenbrunn-Siedlung.44

„Heimat Österreich“, die Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft mit Sitz in Salzburg, konnte bei der Finanzierung einer Reihe ihrer Projekte nebst anderen Finanzhilfen auf den Aufbaufonds der Caritas zurückgreifen, so bei „Streusiedler in Oberösterreich“ (1952-1960, 400 Eigenheime) und „Streusiedler im Lande Salzburg“ (1952-1968, 180 Eigenheime). Grundbeistellung zu sehr günstigen Preisen erfuhren die Siedler der Projekte „Traun bei Linz“ Grundkauf mit Mitteln der Diözese Linz (1962-1964, 84 Wohnungen), “Linz-Wegscheid“, verbilligte Grundbeistellung durch die Caritas (1955-1959, Werenfriedsiedlung: 10 Eigenheime, und 51 Wohnungen), „Caritassiedlung Elsbethen I bei Salzburg“ verbilligte Grundbeistellung durch Erzstift St.-Peter (1950-1952 u.a. das Initialprojekt Paracelsusstraße, 28 Eigenheime, und „Elsbethen bei Salzburg I und II“, verbilligter Baugrund, bereitgestellt vom Erzstift Salzburg  (93 Eigenheime).45

„Aufbauhilfe“ der Diözese Graz/Seckau

In der Steiermark war der aus Filipowa stammende Alexander Thiel (1909-1998) Flüchtlingsseelsorger der Diözese Graz/Seckau. Nach der Lagerinternierung seiner Pfarrangehörigen kam auch er in der Hauptfluchtperiode, im Juni 1947, nach Österreich und blieb in der Steiermark. Im April 1948 wurde er nach Graz berufen und mit dem Aufbau der seelsorglichen und karitativen Flüchtlingsbetreuung in der Steiermark beauftragt. Von 1949 bis 1962 fungierte er dann offiziell als Diözesanflüchtlingsseelsorger. Damals lebten 70.000 Flüchtlinge in diesem Bundesland, von ihnen an die 25.000 in Graz. Von Thiel gingen für die ganze Steiermark- wesentliche Impulse für jene in den fünfziger Jahren mächtig anschwellende Siedlerbewegung aus, die letztlich zur Lösung der drückenden Wohnungsnot führte. Für die alten Landsleute schuf er in Graz-Straßgang ein Altersheim, dessen Finanzierung er durch eine „Betteltour" in Kanada und anderen Ländern sicherte und das 1960 eröffnet wurde.

Graz ging in Sachen Sesshaftwerdung eigene Wege ging. Im Herbst 1951 setzte nach detaillierten Absprachen mit der Schweizer Europahilfe (heute Swissaid) die „Aufbauhilfe" der Caritas der Diözese Seckau/Graz mit einem Startkapital von S. 100.000,- ein. Mit zinsenfreien Krediten zwischen 2000 und 6000 Schilling konnte Msgr. Alexander Thiel zunächst 19 volksdeutschen Flüchtlingsfamilien helfen, die durch Eigeninitiative im Hausbau oder bei der Gründung einer neuen Existenz bereits praktisch vorwärts gekommen waren, aber aus eigener Kraft ihr Vorhaben nicht verwirklichen konnten. Je nach dem Einkommen der Kreditnehmer erfolgte die Rückzahlung, die rückfließenden Gelder wurden als neue Darlehen vergeben. In der Planung und Ausführung des Bauvorhabens behielt der Darlehensnehmer freie Hand. Nach drei Jahren hat Thiel bereits 187 Eigenheimprojekte mit rund 1,3 Millionen Schilling aus verschiedenen Konten mitfinanziert, im Juli 1977 haben schon 924 Familien zinsfreie Darlehen in der Gesamthöhe von öS 9,605.100,-, zuletzt in Höhe von 20.000 bis 30.000 Schilling beansprucht, die in Monatsraten von 100 bis 1000 Schilling getilgt wurden. Die Eigenheime sind verstreut über ganz Steiermark, in ihnen sind heute wohl an die 4000 Personen wohnversorgt.46 (Gauß/Oberläuter, Das zweite Dach, Donauschw. Beiträge Bd. 72, Salzburg 1979, 56).

Auf Anfrage schrieb im Juni 1986 Kanonikus Thiel dem Autor: „Das Gebiet der Eingliederung/Sesshaftmachung der Vertriebenen war neben den seelsorglichen und karitativ-sozialen Aufgaben meine liebste Tätigkeit. Denn - bereits im Jahre 1949 hatte ich erkannt, dass wir unsere Menschen nur dann retten können, eingliedern können, wenn wir ihnen einen Grund geben bzw. zu einem Grund verhelfen, auf dem sie sich ein Einfamilienhaus bauen können. Sie bekamen von mir zinsenfreie Darlehen mit der Verpflichtung, monatlich einen minimalen Betrag zurückzuzahlen. Das klappte 99,9%ig! So entstand ein Revolving-Fonds, der mir immer mehr Möglichkeiten bot zu helfen.

Nach diesem Muster arbeitet auch das Siedlungswerk der Diözese bis heute noch, wo ich als Obmann-Stellvertreter tätig bin. Auch die Steirische Bürgschaftsgenossenschaft ist bis heute noch in diesem Sinne tätig, in der ich seit der Gründung 1949 dabei bin. Heute stehen im Raum von Graz (südlich) über 1000 Einfamilienhäuser. Einige auch in der Weststeiermark im Raum von Voitsberg und Köflach-Bärnbach. Einige haben sich auch in einer anderen Form geholfen.“47

Von 1967 bis 1980 übernahm Thiel die Funktion eines Caritasdirektors der Diözese Graz/Seckau. Hier galt seine Sorge vor allem dem Auf- und Ausbau des „Steirischen Altenhilfswerkes" (gegründet 1974) und der Familienhilfe, so der Ausbildung der Familienhelferinnen und dem Steirischen Mutterhilfswerk.  „Der Mann aus dem Südosten", wie er in Graz auch apostrophiert wurde, machte sich einen besonderen Namen, als er 1969 die Banjaluka-Hilfsaktion nach dem katastrophalen Erdbeben zusammen mit seinem Schulfreund, Bischof Alfred Pichler von Banjaluka in Bosnien, zu einem auch international gewürdigten Erfolg führte. Durch seine Beziehungen und Sprachkenntnisse hielt Kanonikus Thiel zu Gebieten der Donaumonarchie wie Kroatien, Slawonien, die Batschka, das Banat, Bosnien, Herzegowina, Küstendalmatien und Slowenien aufrecht. Immer wieder konnte er Hilfsmaßnahmen initiieren oder im Rahmen der Caritas Internationalis vermitteln.48

Wien –  Diözesane Wohnbaugenossenschaft „Frieden“

Pater Bernhard Jakob Tonko OSA war bekannt für sein Engagement für die Heimatvertriebenen in Österreich. http://www.orden-online.de/wp-content/uploads/2008/05/bernhard-tonko-osa.jpg.... Am 1. Januar 1959 berief ihn die Österreichische Bischofskonferenz zum Generalsekretär der Österreichischen Caritas und ernannte ihn 1974 zum (gesamtösterreichischen) Nationaldirektor für die Ausländerseelsorge. Die jährlichen Gedenkfeiern für die verstorbenen Heimatvertriebenen, aber auch die Sudetendeutschen Tage waren ohne Pater Bernhard nicht denkbar.

In Wien wurden in den öffentlichen Flüchtlingslagern Caritasfürsorgerinnen eingestellt, die in Kindergärten und Horten vor allem die Kinder betreuten. Höchst verdienstvoll wirkte in Wien, besonders in den Jahren 1945-1948, die "Bahnhofsmission" der Caritas in Form der Beratung und Nachtherberge für durchziehende Flüchtlinge.

Im Wiener Flüchtlingslager Cobenzl bildete sich um 1950 ein schicksalhaftes Triumvirat. Es bestand aus dem Banater Priester Dr. Michael Lehmann, aus dem Batschkaer Seelsorger des Lagers Cobenzl, Matthias Johler, und dem aus Filipowa stammenden nunmehrigen Bauarbeiter Matthias Knöbl. Unter maßgeblicher Mithilfe der beiden gründete Lehmann 1952 das St.-Michaels-Werk, eine Art Katholische Aktion für die donauschwäbischen Katholiken in Österreich. Das Werk hatte aber nicht nur eine religiös-kulturelle, sondern auch eine sozial-karitative Zielsetzung.

Johler und Knöbl waren Vertreter des Gedankens, Österreich eigne sich gut als neue Heimat. Sie animierten daher die Landsleute zur Bleibe und zur beruflichen Etablierung. Aber wie siedeln? Da bot der Pfarrer von Leopoldau Hartwig Balzen vom Orden der Kreuzherren, dem Michaelswerk an, im Norden Wiens, in der gartenstadtartigen Nordrandsiedlung, seine dortigen Leopoldauer Bauern zum Verkauf von Baugrund zu überreden. Als diese einwilligten,  entstand die Idee, Einfamilienhäuser zu bauen. Die Ostpriesterhilfe und die Schweizer Europahilfe streckten das Geld für den Grundkauf vor. Die Wiener diözesane Wohnbaugenossenschaft „Frieden" konnte gewonnen werden, und der sudetendeutsche Nationalrat Erwin Machunze, ÖVP-Exponent für die Heimatvertriebenen und zugleich Budgetfachmann, ebnete den Weg zum Bundeswohn- und Siedlungsfonds. Der gekaufte Grund wurde auf die „Frieden" übertragen, und der besagte Fonds übernahm mit dem Land Wien 90% der Baukosten. 18 Siedlungsanwärter meldeten sich aus dem Großlager Simmering. Als Einstiegssumme waren 10.000 Schilling zu zahlen. Angesichts der aufzubringenden Summe treten einige Interessenten zurück. Doch 1955 konnten die 19 Häuser der Ispergasser in der Nordrandsiedlung übergeben und drei Wochen nach Unterzeichnung des Staatsvertrages durch Erzbischof-Koadjutor Dr. Franz Jachym gesegnet werden. 

Matthias Knöbl (1913-1987), profilierter Katholik trat der Baugenossenschaft „Frieden" bei, deren Gebäudeverwalter er bis 1978 blieb. Mit Unterstützung der Ostpriesterhilfe, des Kredits des Flüchtlingshochkommissars sowie Erwin Machunzes gelang es ihm, die Finanzierung von rund 60 Siedlungshäusern in der Michaelsgasse sicherzustellen und ab 1958 aufzubauen. 49

Neben Matthias Knöbl wirkte ab 1947 in Wien der durch seine opferreiche Seelsorgearbeit im Todeslager Gakowa bekanntgewordene Matthias Johler (1913-1969). Aus dem Lager Gakowa geflüchtet und in Wien angekommen, wurde er sofort der Flüchtlingsseelsorge zugewiesen. Als solcher wirkte er im Lager Cobenzl, im Speckbacher Lager, im Lager Auhof, im Hundsturmlager, vornehmlich aber im Großlager Simmering. Mit der nach dem Österreichischen Staatsvertrag 1955 einsetzenden Auflösung der Lager wurde Johler zur Priestererziehung berufen.

Evangelische Kirche: Baugenossenschaft „Neusiedler“

Auf Initiative des evangelischen Pfarrers Dipl.-Ing. Emil Sturm gründeten die evangelischen Flüchtlinge  am 25. März im Saal der evangelischen Pfarrgemeinde in Salzburg die „Evangelische Baugemeinde“. Der Kontakt zur Kirchenleitung wurde durch Pfr. Erich Wilhelm und Dr. Ernst Beer hergestellt. Den Vorsitz übernahm der Batschkadeutsche Senior Heinrich Meder, Emil Sturm wurde sein Stellvertreter. Die Initiative wirkte über die Pfarrgrenzen hinaus. Im bombengeschädigten Saal des als Flüchtlingslager dienenden Hotels „Europa“ wurde am 12. Juni 1950 die Genossenschaft „Neusiedler gegründet. Im Vorstand und im Aufsichtsrat sollten möglichst alle evangelischen Flüchtlingsgruppen lutherischen oder helvetischen Bekenntnisses vertreten sein. Zweiter Obmannstellvertreter wurde Dr. Hans Georg Herzog, Vorsitzender des Aufsichtsrats Oberkirchenrat Erich Wilhelm, dessen Stellvertreter Rektor Gotthold Göhring. Geschäftsführender Direktor wurde Daniel Stetzenbach.

Schilling 300,- betrug der Geschäftsanteil, Schilling 1.- der Monatsbeitrag.50 Das recht armselig ausgestattete Zentralbüro befand sich in der Baracke des Christlichen Hilfswerkes in Salzburg, nahe dem Bahnhof. Es wurde 1955 nach Wien verlegt und führte hier seine rege Bautätigkeit zugunsten der Heimatvertriebenen weiter. Registriert wurde Neusiedler“ für das ganze Bundesgebiet und sofort auch die Verbindung zu staatlichen Stellen und ausländischen Hilfsorganisationen aufgenommen.

Die Durchorganisierung der „Neusiedler“ und ihre umfangreiche bauliche Leistung verdienen großen Respekt. Durch angekaufte Maschinen zur  Herstellung von Hohlblocksteinen und eigene Betonmischmaschinen konnten die Siedler im Sinne der Selbsthilfe ihre Arbeitskraft optimal einsetzen und auf 500 bis 700 Quadratmeter großen Parzellen ihre Häuser errichten. Später bevorzugte man Reihenhäuser. Wohnungen und Siedlungshäuser entstanden: im Burgenland (1959-1964, 39 Wohnungen, Grundbereitstellung durch die ev. Kirche), in Kärnten (1954-1973, 35 Eigenheime und 58 Wohnungen, Grundbereitstellung durch ev. Kirche und Genossenschaft), Niederösterreich (1954-1975, 25 Eigenheime, 38 Wohnungen, Grundbereitstellung durch ev. Kirche), in Oberösterreich (245 Eigenheime, 300 Wohnungen, Grundbereitstellung durch Genossenschaft und Kirche), in Salzburg (1950-1975, 136 Eigenheime, 250 Wohnungen, Grundbereitstellung durch Genossenschaft und Kirche), in der Steiermark (1954-1972, 57 Eigenheime, 121 Wohnungen, Grundbereitstellung durch Genossenschaft und Kirche), in Tirol (1956-1966, 69 Wohnungen) und in Wien (1951-1975, 666 Wohnungen).51

„Außer den Wohnungen haben die „Neusiedler' das Schwesternheim in Schladming, den Schwesternheimzubau in Salzburg, die Altenheime in Graz-Polzergasse und Pinkafeld, das Studentenheim „Albert-Schweitzer-Haus' in Wien, das Schülerinternat in Oberschützen, das Jugendfreizeitheim in Deutschfeistritz, das Trinkerheim in Salzburg und zwei Kindergärten in Wien errichtet“.52 Dazu kommen in allen genannten Bundesländern 20 Gemeindezentren mit Pfarrhäusern.

Insgesamt sind an verlorenen Zuschüssen durch ausländische Hilfsorganisationen rund 7 Millionen Schilling gegeben worden. Mit den Beiträgen zu den Kirchengemeinden ergibt das jährlich insgesamt 50.000 Schilling. Die Finanzierung der Bauvorhaben erfolgte aus öffentlichen Mitteln des Wohnbauförderungsfonds, den Länderfonds und aus Eigenmitteln. Ohne die Hilfe der ausländischen Hilfswerke wäre eine so umfangreiche Arbeit nicht möglich gewesen. Es halfen: Das Evangelische Hilfswerk Frankfurt, das Evangelische Hilfswerk der Schweiz, der Lutherische Weltbund, die Norwegische Europahilfe, die Schweizer Auslandshilfe (heute „Swissaid“), der Weltkirchenrat, die Flüchtlingsorganisation der UNO in Wien, dazu die Quäker und das Brethren-Service.53

Die Leistungen der Kirchen, ihrer kirchlichen und kirchennahen Organisationen zur Integration der Flüchtlinge sprechen für sich. Auch beeindruckt die damalige „transatlantische Solidarität“ christlich motivierter Hilfe.  Auf das zuweilen gehörte Wort, die Kirche möge beten und nicht bauen, gab Senior Meder eine im christlichen Verständnis treffende Antwort: „Wer recht betet, wird auch bauen und an keiner Not des Menschen vorbeigehen.“54

Quellen:

1.  Schießleder, Wilhelm R., Das österreichische Flüchtlingsproblem, in: Integration ¾ (1954,  239 und 252f.

2.  Rauchensteiner, Manfred, Der Krieg in Österreich'45, Sonderausgabe, Wien 1995, S. 24.

3.  Rauchensteiner, a.a.0. 22ff.

4.  Radspieler, Tony: The ethnic German refugee in Austria 1945 to1954, Den Haag 1955, S. 34: "We have seen that their cultural heritage, social institutions, and occupational interests have remained to a large extent close to German customs, cultural practices, and law. These are important factors influencing the assimilation of this group into the Austrian economy as well as determining their likelihood of adequate adjustment to a new environment.

5.  Kraus, Maximilian: Das Flüchtlingsproblem in Oberösterreich 1945-1963, Oberösterreichisches Landesarchiv, Linz o.J.  (künftig: Kraus, Das Flüchtlingsproblem).

6.  Die genauere und ausführliche Darlegung ist hier nicht beabsichtigt.

7.  Erwin Machunze, gebürtiger Sudetendeutscher ÖVP-Parlamentarier, hat seine vierbändige Dokumentation der parlamentarischen Reden und Ausschussverhandlungen, die zwischen 1945 und 1959 die Flüchtlings- und Vertriebenenfrage betraf, unter diesen Titel erscheinen lassen. Veröffentlicht im Rahmen der Donauschwäbischen Beiträge. Hrsg. vom Österreichischen Flüchtligsarchiv ÖFA (vormals A.-K.-Gauß-Stiftung) Salzburg, Haus der Donauschwaben, Friedensstraße 14.

8.  Quellen zur arbeits- und sozialrechtlichen Gleichstellung: Scherer, Anton: Der Kampf um soziale und rechtliche Gleichstellung, in: Der Weg in die neue Heimat. Die Volksdeutschen in der Steiermark, Stocker-Verlag, Graz-Stuttgart 1988, S. 171-184.
Kreiner, Emmerich: Ein Vierteljahrhundert Donauschwäbische Arbeitsgemeinschaft in Österreich 1949 - 1974. Donauschwäbische Beiträge, Bd. 62, Salzburg 1974, S. 15-17.
Herzog, Hans Georg: Archivbestände und persönliche Stellungnahmen, Wien 1996. Dr. Herzog ist Gründungsmitglied des VLÖ, war von 1953 bis 1962 dessen einziger Stellv. Vorsitzender und Leiter des Sozial- und   Rechtsausschusses.
Gauß, Adalbert Karl - Oberläuter, Bruno: Das zweite Dach. Eine Zwischenbilanz über Barackennot und Siedlerwillen 1945-1965. Donauschwäbische Beiträge, Bd. 72, Salzburg 1979, S. 6f.
Machunze, Erwin: Vom Rechtlosen zum Gleichberechtigten. Die Flüchtlings- und Vertriebenenfrage im Wiener Parlament, II. Band: Die VI. Gesetzgebungsperiode (1949-1952), Donauschwäbische Beiträge, Bd. 67, Salzburg 1976 , bes. S. 238f. 

9.  In Wien wurde die Flüchtlingsseelsorge schon 1945 offiziell errichtet. Sie war als Durchgangsstadium für die Überführung der im Lande Bleibenden in die normale Seelsorge konzipiert.  Vgl. Lehman, Michael: Ruf im Sturm. Beiträge zur Geistesgeschichte des Donauraumes und der Donauschwaben, St. Michaels-Werk Wien, Wien 1967, 83. (Das Buch beinhaltet hauptsächlich Lehmanns gesammelte Aufsätze aus den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten).

10.  Linzer Diözesablatt Nr. 20/46, S. 52

11.  Schreckeis, Hans: Festschrift – 35 Jahre Verband Donauschwäbischer Akademiker (VKDA) 1949-1984, (Donauschwäbische Beiträge Bd. 86), Salzburg 1985, S. 190, 194.

12.  Es ist sehr bemerkenswert, dass schon im Juli 1947 P. Stefan und Prof. Haltmayer einen einmonatigen Kurs für Lager-Seelsorgehelferinnen im oberösterreichischen Stift Lambach durchführten, an dem 12 donauschwäbische Mädchen teilnahmen. Vgl. Werni, Josef: Pater Sefan und sein Werk, in: Salzburg und die Heimatvertriebenen, Salzburg 1966, S. 67.

13.  Vgl. Josef Werni, a.a.O., S. 65f.

14.  Werni, a.a.O., S. 67.

15.  Zu den Hilfswerken, die die in den USA lebenden Donauschwaben errichteten, um ihren Landsleuten zu helfen siehe etwa: Arbeitskreis Dokumentation, Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien, Band III: Erschießungen – Vernichtungslager – Kinderschicksale in der Zeit von 1944 bis 1948, München/Sindelfingen 1995, S. 124-128.

16.  Werni a.a.O.,S. 43ff.

17.  Werni, a.a.O., S. 78.

18.  Werni, ebenda.

19.  Max Frösch: Guarapuava, Salzburg 1958, Schriftenreihe "Donauschwäbische Beiträge",  Band 28.

20.   J. Lamesfeld: Von Österreich nach Frankreich. Die Banater-Aktion und Robert Schumann, Salzburg 1973. Schriftenreihe "Donauschwäbische Beiträge", Band 60.

21.  Das Losungswort "Heraus aus den Baracken!", später von Landeshauptmann Dr. Lechner in Salzburg als sozialpolitische Parole aufgegriffen, hat latent vorhandene Kräfte entbunden und eine mächtig anschwellende Bewegung ausgelöst.

22.  Gauß, Adalbert Karl: Zwischen Salzburg und Los Angeles. Streiflichter von einer Amerikafahrt. "Donauschwäbische Beiträge", Heft 21, Salzburg 1957, S. 103.

23.  Werni, ebenda. Dazu Adalbert K. Gauss: „Wie bekannt, wurden auf Grund zwischenstaat-licher Abmachungen zwischen dem Dritten Reich und den Quisling-Regierungen im Südosten alle wehrfähigen Deutschsprachigen als „Freiwillige' zwangsrekrutiert und zur Waffen-SS eingezogen. Die Freiwilligkeit musste als Vorwand herhalten, da nach der Haager Landkriegsordnung die Okkupationsmacht in einem besetzten Gebiet keine Soldaten ausheben durfte. Der Schein, im Einklang mit den völkerrechtlichen Bestimmungen gehandelt zu haben, blieb durch die „Freiwilligkeit' also gewahrt. Wer demnach bei der Waffen-SS gedient hat, blieb von der Möglichkeit ausgeschlossen, im „Gelobten Land', den USA - und dahin strebte die überwiegende Mehrheit - einen neuen Anfang zu wagen: „Illegible' waren nicht zugelassen.“ A. K. Gauß ebenda.

24.  A. K. Gauß: ebenda.

25.  Vgl. Gauß, Adalbert Karl: Dokumente zur Geschichte der Donauschwaben l944 - 1954, Salzburg 1954, S.15.

26.  "Salzburger Bericht", hrsg. von der Flüchtlingsabteilung des Ökumenischen Rates der   Kirchen, Genf, o. J. (1950). (O. Folberth): Der Flüchtlingskongress der Ökumene, "Berichte  und Informationen", Heft 185 vom 3. 2. 1950.

27.  A. K. Gauß: Kinder im Schatten, Salzburg 1950.

28. "Neuland" vom 20. 5. 1951.

29.  Kraus, Maximilian: Das Flüchtlingsproblem in Oberösterreich 1945 – 1963. Maschinengeschriebener Bericht im OÖ. Landesarchiv, S. 88 f.

30.  Werni, a.a.O., S. 83.

31.  Ders., ebenda

32.  Vgl. Schreckeis, Festschrift – 35 Jahre, 5f.; Schreckeis, a.a.O., 8f.; Vgl. etwa die Richtlinien des VKDH anlässlich der Studientagung im Juni 1954 in Wien unter dem Leitmotiv "Heimat als Aufgabe". Prof. Dr. Michael Lehmann, Vorsitzender des VKDA/H Wien, konnte schon zur Eröffnung 38 hochrangige Persönlichkeiten begrüßen. Vgl. Schreckeis, Festschrift – 35 Jahre, 28-38.