War das Banat eine Strafkolonie der Habsburger?

 

von Kons. Oskar Feldtänzer (*1922 âEUR  2009)

 

Deportationen und Zwangsmaßnahmen während der frühtheresianischen Ansiedlung im Banat

Deportationen sind im Allgemeinen und zu jeder Zeit, besonders aber seit dem Ende des 17. Jahrhunderts, von verschiedenen Staaten zur Bevölkerungsauffüllung ihrer Kolonien praktiziert worden. Angewandt wurden solche Maßnahmen z.B. von Frankreich in Cayenne, von England in Australien und von Russland in Sibirien, obwohl der bevölkerungspolitische Erfolg solcher Deportierungen in den Kolonien dieser Länder zweifelhaft war. Umso mehr waren solche Praktiken in der Habsburgermonarchie zur Erfolglosigkeit verurteilt. Schon im Kolonitsch'schen Einrichtungswerk des Jahres 1689, das auch unter der Bezeichnung „erstes Habsburgisches Ansiedlungspatent“ bekannt ist, wurden gegen das Deportierungssystem ernste Bedenken erhoben, und seit dieser Zeit erfolgten die Ansiedlungen in den wieder eroberten Gebieten Ungarns durch „freundliche Einladung fremder Völker“ und nicht mit „gewaltsamer Übersetzung des Überflusses oder schädlichen Pöbels und Auswurfs aus anderen eigentümlichen Ländern und Städten“; wie das „Einrichtungswerk“ ausdrücklich forderte.

Wenn es aber trotzdem unter Maria Theresia zu solchen zwangsweise Verpflanzungen unerwünschter Personen aus der Stadt Wien und deren Umgebung gekommen ist, geschah dies unter dem Gesichtspunkt der „Bevölkerungskonservierung“, wonach jedes Bevölkerungselement zu kostbar war, als dass ein Staat freiwillig darauf verzichten konnte.1 Dazu kam die dem rationalistischen Denkmuster entsprungene Überzeugung, dass es möglich sei, die Menschen nach Belieben bessern zu können.

Der Temeswarer Wasserschub

Die umfangreichste, gewaltsame Transferierung der theresianischen Epoche war die Abschiebung unerwünschter Personen aus der Stadt Wien und deren engeren und weiteren Umgebung in das Banat: ein Vorgang, der mit der Zeit eine feste Organisation ausbildete und sich über die Zeitspanne von 1752 bis 1768 erstreckte, in periodischen Abständen (je ein Transport im Frühjahr und Herbst) ablief und in diesem Zeitraum von 16 Jahren insgesamt 3.130 Personen erfasste. 2

Die zur Verbannung bestimmten Personen wurden in den Behördenakten als „Condemnierte“ (Verurteilte, Anm. d.V.) bezeichnet. Sie wurden in Wiener Arresten gesammelt, in Verzeichnissen erfasst, in denen ihre Vergehen aufgezählt werden und auch z.B. angegeben ist, wo die abgeschobenen Straßenmädchen aufgegriffen wurden. Das scheint auf den ersten Blick eine beträchtliche Bevölkerungsverpflanzung gewesen zu sein, ist in Wirklichkeit aber in ihrem bevölkerungspolitischen Ergebnis von geringer Bedeutung, da die von den Schüben erfassten Personen sich als Kolonisten untauglich erwiesen, bald wieder in Wien auftauchten, so dass in den Schublisten wiederholt dieselben Personen aufscheinen.

Michael Nader hat bei seinen Archivforschungen festgestellt, dass nur zwei Eheschließungen von deportierten Frauen aktenmäßig nachweisbar sind, da diese anfangs der Genehmigung durch die Behörden bedurften. Das schließt jedoch nicht aus, dass noch mehrere Ehen geschlossen wurden, denn möglicherweise ist auf die schriftliche Heiratserlaubnis in weiteren Fällen verzichtet worden, da diese Leute von Wien teilweise auch ausdrücklich mit dem Zweck „ad impopulandum“ (zur Ansiedlung, Anmerkung des Verfassers) verschickt wurden. Trotzdem durften Eheschließungen die Ausnahme gewesen sein. 3

Die Tatsache der Wasserschübe wurde aber von gewisser Seite dazu missbraucht, um die Banater Schwaben als ein Kreuzungsprodukt von Zuchthäuslern und Straßendirnen abzuqualifizieren. Die Landesadministration in Temesvar und ihre vorgesetzte Behörde in Wien, die Ministerialbancohofdeputation, sahen im Schub eine unerwünschte Belastung und protestierten dagegen. 4

Auffallend an den ersten Transporten war die hohe Sterblichkeit der Schubleute. Von den drei Transporten zwischen September 1744 und Dezember 1745 kamen von insgesamt 74 Personen nur 32 in Temesvar an, die anderen überlebten wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes die anstrengende Fahrt nicht. 5 

Über weitere Aspekte der Wasserschübe weiß auch Friedrich Lotz zu berichten: „Bei der Ankunft im Banat nahm man sie zunächst in Verwahrung, d.h. sie wurden in der Regel in Straflagern, sogenannten Arbeitshäusern, untergebracht, wo sie beschäftigt wurden. So mancher, der nicht viel auf dem Kerbholz hatte, erhielt in freien Ansiedlungen Unterkunft und wurde überwacht. Die täglichen Verpflegungsgelder betrugen drei bis vier Kreuzer je Person. Einem ehemaligen schlesischen Revisor namens Johann Hofmann und dem Arzt Dr. Häusler oblag ihre Betreuung; auch Arrestantenhüter und -hüterinnen wurden angestellt. Außerdem ernannte man einen eigenen Seelsorger, einen Bußprediger, da man hoffte, dass die Deportierten als bekehrte Sünder Buße tun werden. Über alle, die Reue zeigten, wurde eine Liste geführt. Staat und Kirche waren bestrebt, aus ihnen wieder gute Menschen zu machen. Die Bekehrten wurden begnadigt und freigelassen. Doch fast alle wandten bei der ersten günstigen Gelegenheit dem Banat den Rücken; oft brannten kleinere oder größere Gruppen durch und kehrten in ihre österreichische Heimat zurück, wo man sie eines Tages wieder aufgriff und von neuem ins Banat verbannte.“ Lotz und Nader (wie oben angeführt) weisen übrigens nach, dass die Schubtransporte schon 1744 einsetzten und nicht erst 1752, wie von Schünemann angenommen. 6

Die Deportation der Hauensteiner

Die Deportation von Bauern aus der Grafschaft Hauenstein im südlichen Schwarzwald war eine politisch motivierte Zwangsmaßnahme des absolutistischen Regierungszeitalters, doch ist die Umsiedlung politisch unzuverlässiger Bevölkerungselemente so alt wie die Weltgeschichte selbst und auch in der Habsburgermonarchie gehen die Anfänge solcher politischer Maßnahmen weit in die vortheresianische Zeit zurück.

Die Grafschaft Hauenstein hat schon in der großen Bauernbewegung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine herausragende Rolle gespielt, und der sich auflehnende Geist ihrer Bewohner gegen Willkürmaßnahmen der Obrigkeit blieb auch in späteren Generationen erhalten. Hier im südlichen Schwarzwaldgebiet konnten die Bauern durch die Bewirtschaftung ihrer Höfe allein das Auslangen in der Bestreitung ihres Lebensunterhaltes nicht finden und entwickelten eine beträchtliche Hausindustrie, deren Produkte sie in der schweizer Textilindustrie oder durch Hausiererhandel in anderen Gebieten absetzten. So kamen genug Leute in der Welt herum und brachten neue Ansichten und Erkenntnisse und damit auch Bewegung ins Land. Dazu kam das in unmittelbarer Nähe liegende Vorbild der Schweiz, deren Bauern sich mit eigener Kraft die politische Unabhängigkeit erkämpft hatten. In Südwestdeutschland, wo die Herrschaftsrechte überaus uneinheitlich und unübersichtlich waren, und es reichsunmittelbare Dörfer und sogar politisch unabhängige Einzelhöfe gab, konnte sich ein zentralistisches politisches System zudem nur schwer durchsetzen.

„Die Hauensteiner träumten ebenfalls von der alten Reichsunmittelbarkeit ihres Landes als einer Bauerndemokratie. Es hatte das Land nicht an Österreich, sondern an die Bauern selbst zurückfallen müssen. Die Lehre, die zuerst in den zwanziger Jahren der „SalpetererâEUR~ (so seine Berufsbezeichnung, Anm. d.V.) Fridolin Albiez entwickelte, blieb das ganze 18. Jahrhundert hindurch bis zum Untergang des Reiches bei den Bauern lebendig.“ 7 

Überdies bestand eine ungleichmäßige soziale Stellung unter den Bauern des Landes, und das war ein weiterer Grund für die Unruhen. Ein Teil hatte seine alte Freiheit bewahrt, andere waren zu Leibeigenen des Klosters St. Blasien geworden, waren aber bestrebt,sich davon zu befreien. Wirtschaftlich war die Leibeigenschaft im 18. Jh. in Südwestdeutschland zwar nur eine geringe Last und die Fronarbeit spielte nur eine geringe Rolle, doch lehnten sich die Bauern gegen die soziale Minderwertigkeit und den Makel der Unfreiheit auf. Es kam zur Empörung, als am Anfang des 18. Jh. die Zügel bei den Unfreien wieder angespannt wurden.

Als Fridolin Albiez 1727 in der Gefangenschaft in Freiburg starb und so zum Märtyrer im Kampf um das alte Recht geworden war, wurde das zum Signal für die offene Revolte seiner Anhänger, an deren Spitze Martin Thoma, Müller am Haselbach, trat. 1728 wurde dieser erste Aufstand vom Militär des schwäbischen Kreises niedergeschlagen. Die Radelsführer wurden nach Ungarn und der Anführer Martin Thoma zur Zwangsarbeit am Festungsbau nach Belgrad verbannt. 8

In den Jahren 1738/1739 kam es zu neuen Unruhen. Die Radelsführer wurden hingerichtet, junge Leute zum Militärdienst gezwungen oder nach Ungarn deportiert. Von den 12 Hauensteinern, die in der Festung Komorn festgehalten wurden, sind 9 später wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. 9 

Die Empörung von 1745 erforderte zu ihrer Überwältigung den Einsatz von 4.000 Mann schwäbischer Kreistruppen. Die Anführer wurden lebenslänglich nach Ungarn verbannt und mussten einen Eid ablegen, nie wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Einer der zurückkehrte, wurde wieder abgeschoben. 10

Am besten sind wir über die Deportierung informiert, die der Revolte von 1755 folgte; sie hatte auch die meisten populationistischen Folgen. Als Strafmaßnahme griff man willkürlich 27 Hausväter heraus, verhaftete ebenfalls deren Frauen, Söhne und Töchter und ließ die ganze Gruppe von 112 Personen (nach Lotz 27 Männer, 20 Frauen und 65 Kinder) nach Temeswar schaffen und beabsichtigte, sie als ländliche Kolonisten für das Banat zu verwenden.

„Es wurden vornehmlich angesehene und wohlhabende Familien ausgesucht“. Wir können annehmen, dass jede Familie ein Vermögen von durchschnittlich 1.000 Gulden besaß. Das ist für bäuerliche Verhältnisse ungemein hoch. Wie es bei allen Zwangsverkäufen der Fall zu sein pflegte, werden auch die Hauensteiner bei der Versteigerung ihrer Immobilien bedeutend geschädigt worden sein. Dazu kommt die übermäßig hohe und schikanöse Berechnung der Reise-, Verpflegungs- und Zollkosten, die pro Familie 200 – 300 Gulden betrugen und vom Erlös des Vermögens abgezogen wurden. Trotzdem gab es Familien, denen auch nach dem Abzug solcher Schulden noch immer an 2.000 Gulden Vermögen verblieben. Auch diese Summen sind dann infolge des unwirtschaftlichen Antizipationssystems erheblich zusammengeschmolzen, in mehreren Fallen sogar ganz aufgezehrt worden.

So wird das Vermögen des Jakob Albiez 1755 noch auf 859 fl. 8 kr. berechnet. Vier Jahre später war noch ein Rest von 264 fl. übrig. Dabei fielen bei ihm die Summen für Hausbau und Ausstattung mit Vieh sogar fort, weil er als kinderloser Witwer keine Wirtschaft übernehmen wollte. 11 

Die Hauensteiner leisteten zunächst passive Resistenz und solange ihre Widerstandskraft noch nicht gebrochen war, konnte man mit den Halsstarrigen wenig anfangen. In Temeswar wurden sie in Gruppen geteilt, in den Kolonistendörfern der Schwäbischen Heide zur Überwinterung einquartiert und auf Rechnung ihres Heimatvermögens verköstigt. 16 kamen nach Karansebesch, 70 wurden auf Freidorf, Neubeschenowa und Neuwien (Ujbecs) verteilt. Im Frühjahr wurden sie dreimal aufgefordert zu wirtschaften, lehnten das aber ab und forderten ihre Einsetzung in die alten Rechte und die Rückkehr in die Heimat.

Nur der Gewalt wollten sie weichen, und, wie zu erwarten, wurde im weiteren Verlauf der Widerstand dieser auf ihrem Recht bestehenden Bauern mehr und mehr gebrochen. Die Menschen des Schwarzwaldes starben im heißen Sommer der Banater Ebene mit ihren Malariasümpfen wie die Fliegen. Von den insgesamt 13 Familien, die nach Neu-Beschenowa gebracht worden waren, starben acht Personen, darunter fünf Familienväter schon im Frühjahr, und alle anderen wurden krank.

In dieser extremen Notlage gaben fünf Familien im Frühjahr den passiven Widerstand auf und erklärten ihre Bereitschaft, eine Wirtschaft zu führen. Die anderen acht, die den Widerstand fortsetzten, wurden nach Tesmeswar gebracht, dort in Fesseln gelegt, wo sie beinahe das Leben einbüßten. Damit wurde auch der Widerstand der Letzten gebrochen und sie kehrten zur Wirtschaft nach Neu-Beschenowa zurück. Einer von ihnen, Eckhardt, schrieb an seinen Vater: „Jotzt baut man uns Häuser und hat uns schon Pferd gekauft“. Er rechnet schon damit, dass er im Banat bleiben muss und in diesem Fall will er die drei Kinder seines verstorbenen Bruders und sein eigenes Büblein zu sich nehmen.

„Aber es ist ein Sichfügen der Resignation“; es waren kranke und gebrochene Leute, die die Wirtschaft begannen. Viele sind seitdem noch gestorben. Noch im Jahre 1756 verstarben allein in Neu-Beschenowa zwei weitere Familienväter.

„Nur wenige deportierten Hauensteiner konnten unter diesen Umständen im Banat bodenständig werden, als Kolonisten haben sie sich allerdings voll bewährt.“ 12 

Die Deportationen haben, insgesamt gesehen, die deutsche Ansiedlung im Banat nicht gefördert, dem Ansehen der Banater Impopulation aber sehr geschadet. Manche wirtschaftlich tüchtigen und moralisch integeren Familien schreckten davor zurück, ins Banat zu ziehen, da sie mit diesem Land unwillkürlich die bei den Deportationen angewendeten Zwangsmaßnahmen verbanden.

QUELLEN:

1.      Vgl. Schünemann Konrad, Österreichs Bevölkerungspolitik unter Maria Theresia, 1. Band, Berlin, ohne Erscheinungsjahr, S. 77.

2.      Vgl. Schünemann a.a.O., S. 77f.

3.      Nader Michael, Organisation und Verlauf der Einwanderung deutscher Kolonisten in das Temesvarer Banat in der Theresianischen Zeit (1740 –1780) Dissertation, Wiesbaden 1978, S. 83.

4.      Vgl. Schünemann a.a.O., S. 79.

5.      Ders. a.a. S. 85.

6.      Lotz Friedrich, Die frühtheresianische Kolonisationsgeschichte des Banats in: Gedenkschrift für Harald Steinacker (1875 –1965), Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission, Band 16 München 1966, S 146 –181, hier S. 162.

7.      Schünemann, Bevolkerungspolitik, S. 89.

8.      Schünemann, a.a.O., S. 91.

9.      Ders. ebenda.

10.  Ders. ebenda.

11.  Schünemann, Bevolkerungspolitik, S. 92.

12.  Schünemann, a.a.O. S. 93 f. sowie Lotz, a.a.O., S. 164.