Josef Schäffer - "Ein Unrecht, das auch 50 Jahre danach totgeschwiegen wird"

Wenn man als selbst schwerst Betroffener gespannt und gebannt stundenlang vor dem Fernsehapparat sitzt und "live" in Auschwitz dabei ist, weiß man eigentlich kaum noch, wie man seine Gedanken ordnen soll. Ich habe den Eindruck gehabt, als gäbe es zwei verschiedene Welten, eine Gute und eine Böse. Es gibt scheinbar auch zwei verschiedene Arten von Verbrechen und zwei Arten von Recht und Wahrheit.

 

Es hat sich wiederholt

In allen Reden wurde das Schreckliche, das Unglaubliche, das dort geschehen ist, angeklagt und verurteilt. Natürlich kann kein normaler Mensch das Unfassbare verstehen und begreifen, das kann nur der, der es erlebt, erlitten hat. Unzählige Male ist das altbekannte Wort gefallen: "Damit sich so etwas nie mehr wiederholen möge". Gerade hier muss ich einhaken und sagen, es hat sich leider längst wiederholt, brutal, grausam und kaum weniger schrecklich. Auch nach der "Befreiung" sind systematisch, gezielt, bewusst, sogar gesetzlich gedeckt ganze Völker und Gruppen liquidiert worden und das vor den Augen der Welt. Natürlich hat man das bis heute in der Welt nicht registriert, obwohl es ja schon 50 Jahre zurückliegt. Warum schreibe ich eigentlich? Weil ich während der Auschwitz-Gedenkfeier viele Botschaften vernommen habe.

Die erste Botschaft lautet: Wir dürfen nicht schweigen, wir müssen anklagen, weil wir es unserem Volk, unserem Gewissen und unseren Opfern schuldig sind und dass diese Botschaft auch für nachfolgende Generationen als Mahnung dienen soll, vielleicht unter dem Motto "Wehret den Anfängen". Ich habe diese Botschaft ernst genommen und erhebe meine Stimme für eine Gruppe, die keine Stimme hat in der Welt, die man vergessen, totgeschwiegen hat, als hätte es sie nie gegeben. Nun frage ich mich, warum schreibe gerade ich, wo ich doch meine Nichtigkeit, meine Ohnmacht, meine Bedeutungslosigkeit kenne und obendrein ein einfacher, alter 79-jähriger Bauer bin. Aber! Ich bin auch einer von denen, die die Gnade hatten, dieses unser Golgotha zu überleben, also ein echter "Zeitzeuge". Ich bin ein Donauschwabe aus dem ehemaligen Jugoslawien.

 Unsere Volksgruppe, die einst 550.000 Menschen zählte, existiert überhaupt nicht mehr. Unsere Verluste sind in Prozenten gerechnet wahrscheinlich genauso hoch wie die der Juden. Es wäre sicher interessant alles im Detail zu schildern, aber Tatsache ist, dass es offiziell per Gesetz dekretiert durchgeführt wurde, also kollektiv: "Alle Deutschen verlieren ab sofort ihre Staatsbürgerschaft, ihr Vermögen wird restlos konfisziert, und sie verlieren ab sofort alle ihre bürgerlichen Rechte." Vogelfrei also, und danach wurde auch gehandelt. Wer sind (waren) also diese Donauschwaben? Ein vergessenes Volk, oder wie mein Freund einmal sagte: "Wir sind die vergessenen Toten dieser Welt." Vor rund 250 Jahren von Kaiserin Maria Theresia in deutschen Landen angeworben und im von den Türken-Kriegen verwüsteten Land an Donau und Theiß im Südosten angesiedelt. 

 

Nach dem Paradies kam das Inferno

Unsere Ahnen machten unter unmenschlichen Bedingungen aus einer entvölkerten Sumpflandschaft ein "blühend Eden", als dann das Paradies vollkommen war, kam das Inferno. Das allerschlimmste ist, dass niemand in der Welt weiß, was dort tatsächlich passiert ist.

Elie Wiesel hat bei der Gedenkfeier in Auschwitz gesagt, "schließt die Augen und ihr seht das Feuer". Ich habe es getan, die Augen geschlossen, habe aber kein Feuer gesehen. Ich habe aber meine beiden Kinder gesehen, abgemagert, auf dem Stroh liegend an Typhus-Fieber elend erstickend, weil man sie einfach verrecken ließ. Ich habe weiters gesehen, wie 180 Männer aus unserer Gemeinde ihr Grab schaufelten, nackt natürlich, wie man sie mit Prügeln erschlug. Weil es aber auch noch Wunder gibt, überlebte einer, der mir dann noch sagen konnte, was mein Bruder Jakob zum Abschied sagte.

Weil doch soviel von Viehwaggons die Rede war, ja man hat sogar einen ausgestellt in Auschwitz. Ich habe auch sehr viele Viehwaggons gesehen, und in einem dieser Waggons war meine junge Frau, es war der 26. Dezember 1944, sie war 21 Tage bei Minus 20 Grad bis nach Charkov in diesem Waggon unterwegs. Es waren zehntausende Mädchen, Frauen, Männer dabei. Auch davon hat die Welt nie Notiz genommen. Viele, viele dieser armen Kreaturen, die zwar keine Nummern hatten, aber deswegen genauso verreckt sind in den Jahren 48/49.

 Nicht nur ein Wiesenthal oder ein Wiesel hat seine Angehörigen verloren, auch bei mir waren es neun. Weil auch soviel von "selektieren" die Rede war, auch bei uns wurde diese Methode angewandt.

Sozusagen die ganze Welt traf sich in Auschwitz, man gedachte in Trauer und Abscheu der Opfer dieses Holocaust und das zu Recht. Was ich nur nicht verstehe, ist, dass an diesen Stellen, wo unsere Märtyrer verscharrt liegen, der Pflug drübergeht und ein Maisfeld draufsteht. Ja es ist undenkbar oder unvorstellbar, dass irgend jemand von uns an diesen Stellen eine Kerze anzündet, weil es diese Verbrechen ja eigentlich gar nicht gegeben hat.