„Das zahlt der Bürgermeister“ - Mit dem Rad auf der Suche nach den Wurzeln

Gespräch über eine ungewöhnliche Reise


Hannes Fellner (48) absolvierte im Juli 2009 in dreizehn Tagen 1700 Kilometer mit dem Fahrrad. Ausgangspunkt war seine jetzige Heimat Wels in Oberösterreich, Zielpunkt Pardan, ein kleiner Ort im Banat in der Vojvodina direkt an der Grenze zu Rumänien: Heimat seiner donauschwäbischen Mutter und Großeltern. Werner Harasym, der Vorsitzende der Donauschwäbischen Kulturstiftung (DKS) München, führte mit dem verheirateten dreifachen Familienvater ein Interview.

DKS: 1700 Kilometer mit dem Fahrrad zu bestreiten für eine Reise in die Vojvodina – das ist etwas ziemlich Ungewöhnliches. Was hat den Anstoß dafür gegeben?

Fellner: Ich bin im Februar mit dem Künstler Robert Hammerstiel in Kontakt getreten, nachdem ich im Leopold-Museum in Wien seine Bilder gesehen und anschließend sein Buch gelesen habe. Er war selbst mit zwölf Jahren in Molidorf im Lager gewesen und hat sehr bildhaft und einfühlsam seine Erinnerungen niedergeschrieben. Ich habe dann mit meinem Vater Kontakt zu ihm aufgenommen und er hat uns tatsächlich zu sich eingeladen. Hammerstiel war es dann auch, der mich bestärkt und ermutigt hat, in die Vojvodina zu fahren. Also habe ich mit meinen Brüdern gesprochen und mit einem Cousin meiner Mutter. Es wollte aber niemand mitkommen. Dann habe ich mir gesagt: „Na gut, dann fahre ich halt allein.“ Um ein Gefühl für die Landschaft und die Natur zu bekommen und weil ich gerne Sport treibe, habe ich mich entschlossen, mit dem Rad zu fahren. Hinzu bin ich auf den Spuren der Ahnen an der Donau entlang, zurück den Fluchtweg meiner Mutter aus dem Lager Gakowa (Batschka) der ungarisch-kroatischen Grenze entlang ins Burgenland nach Oberösterreich.

 

Hannes Fellner mit seinem Schlaflager an der Donau südlich von Budapest


DKS: Die Mutter ist Jahrgang 1935 gewesen. Hat sie etwas von ihrer Heimat oder Lagerzeit erzählt?

Fellner. Gar nicht. Wenn wir auf dieses Thema gekommen sind, hat sie nur ein paar Sätze gesagt und dann war die Sache erledigt. Man hat gemerkt, dass sie nicht darüber sprechen will. Damals wusste ich auch gar nicht, nach was ich genau fragen sollte. Erst jetzt nach der Reise könnte ich gezielt fragen. Auf Grund der Reise habe ich Kontakt zu einer Frau bekommen, die mit meiner Mutter geflüchtet ist. Trotzdem weiß ich nicht genau, in welchem Lager meine Mutter gewesen ist. Meine Urgroßeltern sind in Molidorf verhungert, meine Oma wurde 1946 in Kikinda erschossen, offenbar als Vergeltung für eine Lagerflucht einer anderen Person. Wahrscheinlich war meine Mutter in Stefansfeld und in St. Georg wo auch sehr viele andere Pardaner gewesen sind. 1947 kam sie dann ins Lager Gakowa an die ungarische Grenze. Die Frau, die meiner Großmutter am Vorabend ihrer Erschießung versprochen hatte, dass sie „auf die Lisl schaue“, hat sie auf der Flucht nach Österreich mitgenommen. Im Juli 1947 sind sie ins Burgenland gekommen. Von dort sind sie dann nach Kärnten, wo sie mein Großvater, der nach der Kriegsgefangenschaft in Oberösterreich geblieben ist, abgeholt hat.

 

Mutter und Großmutter von Hannes Fellner 1944 in Pardan


DKS: Was waren nun Ihre Erlebnisse während der Radrundfahrt?

Fellner: Auf dem Weg nach Pardan habe ich immer wieder dort noch lebende Donauschwaben getroffen. Schon in Ungarn, wo ich übrigens schon vor Budapest auf ein Schwabenball-Hinweisschild gestoßen bin und immer wieder auf Tafeln mit Erklärungen über die Geschichte der Donauschwaben. Aber auch in Serbien. Diese Donauschwaben haben mir dann auf Deutsch weitergeholfen. Ich war ja mit Schlafsack und Iso-Matte unterwegs und habe im Kukuruz (Mais) mein Lager aufgeschlagen. In Pardan habe ich mich dann mit zwei Serben unterhalten. Der eine war als Gastarbeiter in Deutschland, der andere war viele Jahre in der Schweiz. Die waren sehr interessiert am Thema Vertreibung und den Vertriebenen. Man hat gemerkt, dass es ihnen ein Anliegen ist, mit den Vertriebenen in Kontakt zu geraten. Die haben mich zu einer älteren Frau geführt, ehe ich bei einem Herrn – einem 83-jährigen Serben - gelandet bin, der deutsch konnte und der im Nachbarhaus meiner Großeltern lebt. Er ist bei einem deutschen Schneider in die Lehre gegangen. Und so bin ich schließlich vor dem Haus meiner Großeltern und Mutter gestanden. Ich konnte allerdings nicht rein, weil der Besitzer verstorben ist und die Nachkommen es verkaufen wollen. Vom Zaun aus und in der Einfahrt habe ich aber ein paar Bilder machen können. Wenn ich an diesen Moment zurückdenke, dann ist das ein gutes Gefühl. Ich habe mich sehr wohl gefühlt, als ich dort war. Der Schneider hat noch meine Hose geflickt, die mir unterwegs kaputt gegangen ist und dann wurde ich in die Gaststätte eingeladen. Die haben mich nichts zahlen lassen und immer gesagt: „Das zahlt der Bürgermeister.“ Obwohl es dort - glaube ich - gar keinen Bürgermeister gibt. Irgendjemand hat das also bezahlt.

 

Hannes Fellner und seine Helfer vor dem Lokal "Pardanj" – „Das zahlt der Bürgermeister“

 

Das Haus der Großeltern von Hannes Fellner


DKS: Eine weitere Station war Rudolfsgnad. Ein Ort, der bis zur Internierung der deutschen Bevölkerung 3200 Einwohner hatte. Dieser Ort wurde von Oktober 1945 bis März 1948 zum größten Lager für die Deutschen in Jugoslawien mit bis zu 20 500 Gefangenen und rund 11 000 Toten umfunktioniert und gilt als „Vernichtungslager für Alte, Kranke, Kinder und Frauen mit Kleinkindern“ (siehe das von der DKS herausgegebene Taschenbuch „Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944-1948. Die Stationen eines Völkermords. München. 4. Auflage 2006. S.153).

Fellner: Zuerst war ich auf der Suche nach der Gedenkkapelle, die mit Bildern von Hammerstiel ausgestattet ist. Die war aber gar nicht leicht zu finden, weil die Einfahrt schon sehr wild verwachsen ist. Ein Einheimischer hat mir dabei geholfen. Die Kapelle war leider versperrt, ich habe durch ein Fenster reingeschaut. Es gibt dann in Rudolfsgnad noch eine zweite Gedenkstätte, ein paar Kilometer außerhalb, wo ein Massengrab ist inmitten von Sonnenblumenfeldern. Ich war um die Mittagszeit dort, der Wind ist sanft und ruhig über Wiese gestrichen und irgendwie ist die Zeit dort stehen geblieben. Man ist den Toten dort sehr nahe. Die Ortschaft hingegen hat für mich etwas Beklemmendes gehabt, als wenn das dort Geschehene noch nachwirkt. Dann bin ich weitergefahren nach Novi Sad (Neusatz), wo ich mir die Ausstellung „Daheim an der Donau“ angesehen habe, ehe es über Gakowa und den Fluchtweg zurück nach Hause ging.


DKS: Sie hatten vor der Reise keinerlei Kontakt zur Landsmannschaft oder anderen Einrichtungen der Donauschwaben?

Fellner: Nein, eben nicht. Meine Mutter hat ja einen Oberösterreicher geheiratet und in dieser Hinsicht nichts unternommen. Nur einmal war ich bei einem Treffen der Pardaner gewesen, aber das ist schon länger her. Ich bin aber zu dem Entschluss gekommen, dass ich mehr über meine Wurzeln wissen möchte, schließlich beeinflusst das mein Leben. Man trägt das ja in sich. Ich wollte Klarheit haben und bin entsetzt darüber, was da alles passiert ist. (Anmerkung der DKS: In Band 4 der von uns herausgegebenen Dokumentation „Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien.– München/Sindelfingen 1994. sind auf den Seiten 307-314 namentlich 558 Tote – von 1530 Einwohnern – aufgeführt. Von den 1166 Zivilpersonen, die ab Oktober 1944 dem Tito-Regime ausgeliefert waren, sind 433 Tote namentlich genannt.) Ich bin sehr froh, dass ich das gemacht habe. Die Verbindung zur Landsmannschaft in Oberösterreich ist dadurch entstanden, dass über meine Reise ein Artikel bei uns in der Regionalzeitung erschienen ist. Daraufhin hat sich die Landsmannschaft bei mir gemeldet. So stehe ich nun mit denen in Verbindung und werde bei dem Aufbau einer neuen Internetseite mitwirken.


DKS: Welche Lehren ziehen Sie aus dieser Reise?

Fellner: Ich habe festgestellt, dass gerade hier in Oberösterreich zwar viele Donauschwaben leben, aber das Wissen über ihr Schicksal kaum bekannt ist. Ich will aufklären und mithelfen, das Wissen zu vermitteln. Außerdem habe ich jetzt viel Verständnis für die Donauschwaben, weil ich weiß, was die mitgemacht haben.


Die erwähnten Bücher sind über die DKS erhältlich.
Siehe: Publikationen

Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien. Band 1-4.- München/Sindelfingen 1991-1995. Preis pro Band 25 Euro zuzüglich Versandkosten.
Band 1: Ortsberichte, 958 Seiten, ISBN: 3-926276-13-4
Band 2: Erlebnisberichte, 1040 Seiten, ISBN: 3-926276-17-7
Band 3: Erschießungen, Vernichtungslager, Kinderschicksale, berichtet von Erlebnisträgern, 992 Seiten, ISBN: 3-926276-21-5
Band 4: Menschenverluste, Namen und Zahlen. Namentliche Erfassung von über 61 000 Umgekommenen, nach Orten, Gebieten, 1060 Seiten, ISBN: 3-926276-22-3


Als Zusammenfassung dieser Dokumentation ist ein Taschenbuch erschienen:
Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944-1948.- München 1998 (4. Auflage). ISBN: 3-926276-32-0. Preis: 9 Euro zuzüglich Versandkosten.